Dritter Artikel. Der Glaube bleibt nicht nach diesem Leben.
a) Das Gegenteil geht aus Folgendem hervor: I. Der Glaube steht höher wie die Wissenschaft, welche bleibt. Also vergeht auch er nicht. II. 1. Kor. 3. steht: „Ein anderes Fundament kann niemand legen, wie jenes, was gelegt worden ist, das da ist Christus Jesus“ d. i. der Glaube an Christum. Bleibt also nicht der Glaube, so fällt das Fundament M Alles, was darauf aufgebaut worden. III. Glaube und Herrlichkeit unterscheiden sich rücksichtlich der Kenntnis wie das Unvollkommene und das Vollkommene. Die unvollkommene Kenntnis aber kann sein mit der vollkommenen, wie im Engel ist die Abend-Kenntnis mit der Morgen-Kenntnis und der Mensch die nämliche Schlußfolgerung anerkennen kann vermittelst eines beweisenden Syllogismus und vermittelst eines nur Wahrscheinlichkeit ergebenden. Also kann der Glaube zugleich sein mit dem Lichte der Herrlichkeit. Auf der anderen Seite sagt Paulus (2. Kor. 5.): „So lange wir in diesem Körper sind, pilgern wir fern von Gott; denn im Glauben wandeln, wir, nicht im Schauen.“ Die Seligen aber in der Herrlichkeit pilgern nicht mehr fern von Gott, sondern sind Ihm gegenwärtig. Also bleibt der Glaube nach diesem Leben nicht mehr.
b) Ich antworte; der Gegensatz ist an sich betrachtet die eigenste Ursache, daß ein Glied desselben vom anderen ausgeschlossen wird; insofern nämlich in allen Gegensätzen eingeschlossen ist die Entgegenstellung der Bejahung zur Verneinung. Nun findet man bei Manchem einen Gegensatz gemäß den einander entgegenstehenden Formen, wie bei der Farbe das Weiße und Schwarze; bei Manchem aber findet man einen Gegensatz gemäß dem Unvollkommenen und Vollkommenen, so daß in den bloßen Veränderungen im Bereiche ein und derselben Eigenschaft oder Zuständlichkeit das „mehr“ und „minder“ einen Gegensatz bildet; wie etwas vom minder Warmen zum mehr Warmen übergeht. Und weil das Unvollkommene gegenübersteht dem Vollkommenen, so ist es unmöglich, daß zugleich und nach derselben Seite hin sich zusammenfinde das Vollkommene und Unvollkommene. Nun ist dabei zu erwägen, daß das Unvollkommene manchmal zum Wesen des betreffenden Dinges gehört, wie z. B. der Mangel der Vernunft zum Wesen des Ochsen oder des Pferdes. Und weil nun, soweit etwas der Zahl nach ein und dasselbe bleibt, es nicht von einer Wesensgattung zur anderen übergehen kann, so folgt, daß, wenn solche Unvollkommenheit entfernt wird, zugleich die Natur oder das Wesen des Dinges vergeht; wie der Ochse oder das'Pferd schon dies nicht mehr wäre, wenn die Vernunft dazu träte. Bisweilen aber gehört das Unvollkommene nicht zur Natur des betreffenden Dinges, sondern tritt nur infolge irgend eines Umstandes hinzu;, wie z. B. im Menschen der Gebrauch der Vernunft gehindert wird durch den Schlaf oder die Trunkenheit oder dergleichen. Offenbar nun gehört das Unvollkommene im Glauben zur inneren Natur des Glaubens; denn es wird in seine Begriffsbestimmung gesetzt: „Der Glaube ist der Beginn der zu hoffenden Dinge, der Beweis der Dinge, die nicht geschaut werden;“ sagt Paulus (Hebr. 11.); und Augustin (40. in Joan.): „Was ist der Glaube? Für sicher annehmen, was du nicht siehst.“ Eine Kenntnis aber ohne Schauen ist eine unvollkommene Kenntnis; und so ist das Unvollkommene etwas zum Wesen des Glaubens Gehöriges. Doch wir müssen noch weiter gehen. Manchmal nämlich ist der Fall möglich, daß eine unvollkommene Kenntnis zusammenbestehe mit der vollkommenen nach ganz derselben Seite hin. Man muß also berücksichtigen, daß eine Kenntnis unvollkommen sein kann in dreifacher Weise: 1. Von seiten des erkennbaren Gegenstandes; 2. von seiten des Mittels, wodurch erkannt wird; 3. von seiten des erkennenden Subjekts. Von seiten des erkennbaren Gegenstandes unterscheidet sich als unvollkommene von der vollkommenen die Abendkenntnis in den Engeln von der Morgenkenntnis; denn die letztere besteht, insofern die Dinge Sein haben im „Worte“, die erstere, die Abendkenntnis, soweit sie Sein haben in der eigenen Natur, was ein unvollkommenes Sein ist rücksichtlich des Seins im göttlichen Worte. Von seiten des Mittels, wodurch die Kenntnis sich vollzieht, unterscheidet sich eine Schlußfolgerung, die mit Wahrscheinlichkeit sich ergiebt, als unvollkommen von jener Kenntnis, die vermittelst eines zuverlässigen Beweisgrundes erhalten wird als der vollkommenen. Von seiten des erkennenden Subjekts unterscheidet sich gemäß dem Vollkommenen und Unvollkommenen die Wissenschaft von der Meinung und dem Glauben. Denn zur Natur der Meinung gehört, daß etwas angenommen wird mit der Furcht, das Gegenteil könne wahr sein; die Festigkeit der Anhänglichkeit also fehlt da. Zur Natur der Wissenschaft gehört, daß man fest anhänge und vermittelst eines Beweisgrundes das Erkannte mit der Vernunft schaue; denn sie dankt ihre Gewißheit dem „Verständnisse der Principien“. Der Glaube aber hängt wohl fest an seinem Gegenstande, aber nicht vermittelst eines Beweisgrundes; Und so steht er in der Mitte zwischen Meinung und Wissenschaft. Offenbar nun kann das Unvollkommene in ganz derselben Beziehung nicht zusammensein mit dem Vollkommenen. Wohl aber können beide zusammensein, wenn die Beziehung, unter der sie vorhanden sind, nicht dieselbe ist. So kann in keiner Weise die unvollkommene Kenntnis zusammen sein mit der vollkommenen mit Beziehung auf den nämlichen gleichen Gegenstand, wenn das Unvollkommene und das Vollkommene sich hält von seiten des Gegenstandes; es kann jedoch in diesem Falle das Vollkommene und Unvollkommene zusammensein mit Beziehung auf das gleiche erkennende Subjekt und mit Beziehung auf das gleiche Mittel des Erkennens. Denn nichts steht dem entgegen, daß der nämliche Mensch zugleich und auf einmal durch ein und dasselbe Mittel Kenntnis habe von zwei Dingen, von denen das eine unvollkommen ist und das andere vollkommen; wie z. B. von der Krankheit und der Gesundheit, vom Guten und Bösen; — aber er kann dann nicht erkennen, daß ein Gegenstand zugleich und im selben Sinne gesund und krank, gut und schlecht sei. Ähnlich ist es unmöglich, daß die unvollkommene und die vollkommene Kenntnis von seiten des Mittels für die Kenntnis in ein und demselben Mittel zusammen seien. Jedoch kann das erkennende Subjekt dasselbe sein und der erkannte Gegenstand kann derselbe sein; wie ein und derselbe Mensch erkennen kann den nämlichen Satz vermittelst eines mit Wahrscheinlichkeit schließenden Grundes und vermittelst eines solchen, der mit zuverlässiger Beweiskraft schließt; wenn auch nicht ein und dasselbe Mittel für den nämlichen Menschen ein und denselben Satz strikte beweisen und zugleich bloß als mit Wahrscheinlichkeit erkennbar darstellen kann. Und ähnlich ist es unmöglich, daß die vollkommene und unvollkommene Kenntnis von seiten des erkennenden Subjekts zugleich sei im selben Subjekte. Der Glaube aber schließt in seiner Natur Unvollkommenheit ein von seiten des Subjekts, so daß nämlich der da glaubt nicht sieht das, was er glaubt. Dagegen schließt die Seligkeit ebenso notwendig in ihrer Natur Vollkommenheit ein von seiten des erkennenden Subjekts, so daß nämlich der Selige schaut das, wodurch er beseligt wird. Also ist da eine völlige Unmöglichkeit vorhanden, daß der Glaube zugleich bleibe in ein und demselben erkennenden Subjekte mit der Seligkeit.
c) I. Der heilige Glaube steht höher wie das Wissen von seiten des Gegenstandes, denn sein Gegenstand ist die erste Wahrheit. Von seiten des erkennenden Subjekts aber hat die Wissenschaft eine vollkommenere Art und Weise zu erkennen, die nicht entgegensteht der Vollkommenheit der Seligkeit, wie dies bei der Art und Weise des Glaubens der Fall ist. II. Der Glaube ist Fundament mit Rücksicht auf das, was er an Kenntnis mit sich bringt; wenn also das Erkennen vollkommener sein wird, wird vollkommener sein das Fundament. III. Ist damit beantwortet.
