Fünfter Artikel. Die Gaben des heiligen Geistes sind miteinander verbunden.
a) Dies ist zuerst: I. Dem Apostel zuwider (1. Kor. 12.), der da sagt: „Dem einen wird vom Geiste verliehen die Rede der Weisheit, dem anderen die Rede der Wissenschaft durch den nämlichen Geist.“ Weisheit und Wissenschaft aber sind Gaben des heiligen Geistes. Also sind dieselben nicht in derselben Person verbunden. II. Augustin (14. de Trin. 1.), der da schreibt: „Von der Wissenschaft sind nicht viele angefüllt, obgleich sie vollen Glauben haben.“ Den Glauben aber begleitet zum mindesten immer die Gabe der Furcht. Also sind nicht alle Gaben in ein und demselben miteinander verbunden. III. Gregor (1. moral.), der da sagt: „Die Weisheit ist geringer, wenn sie des Verständnisses ermangelt; und sehr unnütz ist das Verständnis, wenn es nicht von der Weisheit her seinen Bestand ableitet. Wertlos ist der Rat, wo Stärke fehlt; und zerrüttet ist im höchsten Grade die Stärke, wenn sie nicht ihre Stütze im Rate hat. Die Wissenschaft ist nichts, wenn sie den Nutzen der Gottergebenheit nicht in sich schließt; und sehr unnütz ist die Gottergebenheit, wenn sie der Unterscheidungsgabe, die vom Wissen kommt, ermangelt. Und die Furcht selber steht ebenso nicht auf zum guten Werke, wenn sie nicht alle diese Tugenden hat.“ Danach ergiebt sich, daß eine Gabe ohne die andere besessen werden kann. Auf der anderen Seite schickt Gregor diesen Worten vorher: „Das müssen wir bei den Gastmählern der Söhne erforschen, daß sie nämlich sich gegenseitig Speise bieten.“ Unter den sieben Söhnen Jobs aber versteht Gregor die sieben Gaben des heiligen Geistes. Also sind sie alle insgesamt immer verbunden.
b) Ich antworte, die Wahrheit könne hier aus dem vorher Gesagten festgestellt werden. Denn wie die moralischen Tugenden den Menschen vollenden mit Beziehung auf die Richtschnur der Vernunft, so die Gaben mit Beziehung auf den heiligen Geist, der da bewegt. Der heilige Geist aber wohnt in uns durch die heilige Liebe nach Röm. 5.: „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den heiligen Geist, der uns verliehen worden;“ ähnlich wie die Vernnnft vollendet wird durch die Klugheit. Wie also alle moralischen Tugenden miteinander verbunden werden in der Klugheit, so haben die Gaben des heiligen Geistes ihre gegenseitige Verbindung in der heiligen Liebe. Wer somit die heilige Liebe hat, der hat alle Gaben des heiligen Geistes; und keine dieser Gaben kann besessen werden ohne die heilige Liebe.
c) I. Die Weisheit und Wissenschaft sind nicht nur Gaben, sondern auch Gnaden, die zum Besten anderer gegeben werden (gratis datae); und danach überfließen sie in dem, der sie hat, so daß dieser auch andere unterrichten kann. Und so erwähnt sie der Apostel, weshalb er treffend sagt: „Die Rede der Weisheit etc.“ Hier aber werden sie als „Gaben“ genommen, wonach jemand vorbereitet wird, dem Antriebe des heiligen Geistes zu folgen in der Kenntnis der göttlichen und menschlichen Dinge. Und so sind beide Gaben in allen, wo die Liebe wohnt. II. Augustin erklärt diese Stelle des Apostels; also spricht er in derselben Weise von der „Wissenschaft“. Deshalb fügt er hinzu: „Etwas Anderes nämlich ist es, nur zu wissen, was der Mensch glauben muß, um zum ewigen Leben zu gelangen; und etwas Anderes, zu wissen, wie diese Erkenntnis selber den Gläubigen nützt und wie sie gegen die Gottlosen verteidigt wird; dieses letztere Wissen nun meint hier der Apostel.“ III. Gregor will gerade beweisen, daß eine Gabe ohne die andere nichts nützt; wie auch eine Kardinaltugend ohne die andere nicht nützlich ist. (Vgl. oben.) Deshalb schickt er vorher: „Sehr wankt jede von diesen Tugenden, wenn sie nicht durch die andere gestützt wird.“
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