Sechster Artikel. Die Gaben des heiligen Geistes bleiben im anderen Leben.
a) Dagegen spricht: I. Gregor (2. moral. 26.) mit den'Worten: „Der heilige Geist erzieht unseren Geist gegenüber allen Versuchungen durch die sieben Gaben.“ Im anderen Leben aber giebt es keine Versuchungen mehr: „Sie werden nicht mehr schaden oder töten auf meinem heiligen Berge,“ sagt Isaias 11. II. Die Gaben des heiligen Geistes sind Zustände. Diese aber bleiben nicht, wo sie ihre Thätigkeiten nicht mehr entwickeln können; sie wären ja sonst vergeblich da. Die Thätigkeiten mancher Gaben können nun nicht mehr im Himmel sich vollziehen; wie Gregor (1. moral. 15.) sagt: „Das Verständnis macht, daß man das Gehörte durchdringt; der Rat behütet vor Übereilung; die Stärke läßt nicht die Feinde fürchten; und die Gottergebenheit füllt das heilige Verlangen im Herzen an mit den Werken der Barmherzigkeit.“ Alles dies aber hat im Himmel keine Stelle mehr. III. Manche Gaben vollenden den Menschen für das beschauliche und manche für das thätig wirksame Leben. Letzteres aber hört mit dem Tode auf. Also sind diese Gaben fortan unnütz. Nicht alle Gaben bleiben somit in der Heimat. Auf der anderen Seite sagt Ambrosius (I. de Spir. S. 20.): „Jene himmlische Stadt Jerusalem wird durch kein Hindurchfließen eines irdischen Stromes abgewaschen; sondern der heilige Geist, der vom Lebensquell ausgeht, den wir hier nur mangelhaft, wie im Vorübergehen genießen, wird da in jenen himmlischen Kräften reichlicher überfluten, in glühender Liebe ausgehend, die sieben geistigen Tugenden.“
b) Ich antworte; von den Gaben können wir in doppelter Weise sprechen, einmal mit Rücksicht auf ihr inneres Wesen; und so werden sie in der Heimat in höchster Vollendung sein, wie Ambrosius eben sagte. Der Grund davon ist, daß die Gaben den menschlichen Geist vollenden, damit er der vom heiligen Geiste ausgehenden bewegenden Kraft bereitwillig folge; das aber wird in vorzüglicher Weise in der Heimat stattfinden, wann „Gott sein wird Alles in Allem,“ nach 1 Kor. 15., und wann der Mensch durchaus Gott unterworfen sein wird. Dann können die Gaben betrachtet werden mit Rücksicht auf die Materie oder den Gegenstand, worauf sie sich richten; und so richten sie jetzt ihre Thätigkeit auf etwas, worauf sie dieselbe dort nicht richten werden. Und danach bleiben die Gaben nicht in der Heimat; wie das auch mit den Kardinaltugenden der Fall sein wird. (Kap. 67, Art. 1.)
c) I. Gregor spricht da von den Gaben, wie sie dem gegenwärtigen Leben zukommen. Im Himmel werden wir durch die Gaben durchaus im Guten vollendet werden. II. Gregor setzt in die einzelnen Gaben immer zugleich etwas, was mit diesem Leben vorübergeht: „Die Weisheit erquickt den vernünftigen Geist mit der Hoffnung auf das Ewige und mit der Gewißheit,“ wovon die Gewißheit bleibt, die Hoffnung vorübergeht: „Das Verständnis dringt durch das Gehörte durch, erquickt das Herz und erleuchtet seine Finsternisse.“ Davon fällt das Gehör fort: „denn nicht mehr wird da der Mann seinen L. Mitbruder belehren“ (Jerem. 31.); die Erleuchtung des Verstandes bleibt. Der Rat behütet vor Übereilung,“ was hier im Leben nur notwendig ist „und füllt die Seele an mit dem Lichte der Vernunft,“ was dort notwendig erscheint. „Die Stärke fürchtet keine Gegner,“ was von hier gilt, „und speist den Geist mit froher Zuversicht,“ was für die Zukunft Geltung hat. „Die Wissenschaft überwindet das Fasten der Unkenntnis,“ das gilt nur für hier; was er aber hinzufügt, „im Bauche des Geistes,“ das kann figürlich verstanden werden von der Fülle des Wissens, was im Himmel sein wird. „Die Gottergebenheit füllt an das Innere des Herzens mit Werken der Barmherzigkeit,“ was nach den Worten zwar nur für das gegenwärtige Leben dient; jedoch die innigste Hinneigung zum Nächsten, die durch das „Innere, viscera, des Herzens“ angedeutet wird, bleibt in der Ewigkeit, wo die Gottergebenheit nicht mehr helfen, aber beglückwünschen wird den Nächsten. „Die Furcht drückt zusammen den Geist, daß er nicht anmaßend werde in seinem Stolze auf Grund des gegenwärtigen Glückes“ und „stärkt den Geist mit der Speise der Hoffnung,“ was Letzteres rücksichtlich der Hoffnung auf die Gegenwart geht, jedoch mit Rücksicht auf die Kräftigung auch auf die Zukunft gehen kann, wo man das Gehoffte erreicht hat. III. Dies gilt vom Gegenstande oder der Materie der Gaben hier auf Erden.
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