Siebenter Artikel. Die würde der Gaben entspricht der Aufeinanderfolge in der Aufzählung des Propheten.
a.) Dies scheint nicht der Fall zu sein. Denn: I. Die hauptsächliche Gabe scheint das zu betreffen, was Gott am meisten vom Menschen verlangt. Dies ist aber die Furcht nach Deut. 10.: „Und jetzt, Israel, was fordert Gott von dir Anderes als daß du Ihn fürchtest, den Herrn, deinen Gott?“ Und Malach. 1.: „Wenn ich der Herr bin, wo ist die Furcht vor mir?“ Also scheint die letzte Gabe, die Furcht, in der Würde die hauptsächlichste, die erste, zu sein. II. Die Gottergebenheit scheint gewissermaßen ein allumfassendes Gut zu sein nach 1. Trin. 4.: „Die Gottergebenheit oder Frömmigkeit ist zu Allem nütze.“ Ein allgemeines, d. i. allumfassendes Gut aber ist vorzuziehen einzelnen, besonderen Gütern. Also ist die Frömmigkeit, die pietas, die hauptsächlichste Gabe; und doch steht sie da nur an vorletzter Stelle. III. Die Wissenschaft vollendet das Urteil der Vernunft, der Rat gehört dem Untersuchen seitens der Vernunft an. Das Urteil aber steht höher als das Untersuchen. Also müßte die Wissenschaft vor dem Rate kommen. IV. Die Stärke gehört zum Begehren, die Wissenschaft zur Vernunft. Letztere aber steht an Würde höher wie die begehrende Kraft. Also dürfte nicht die Stärke vor der Wissenschaft aufgezählt werden. Sonach entspricht jene Aufeinanderfolge bei Isaias nicht der Würde dieser Gaben. Auf der anderen Seite sagt Augustin (I. de serm. Dom. in monte 4.): „Die siebengestaltete Thätigkeit des heiligen Geistes, von der Isaias spricht, scheint mir diesen Stufen (der acht Seligkeiten) zu entsprechen. Isaias fängt an von den würdevolleren; hier aber ist der Beginn bei den niedrigeren.“
b) Ich antworte; die Würde der einzelnen Gaben kann erwogen werden entweder schlechthin d. h. mit Rücksicht auf die ihnen eigene Thätigkeit oder nach einer gewissen Seite hin, nämlich mit Rücksicht auf die Art der Materie, auf die sie gerichtet sind. Die erste Betrachtung ist die, welche wir schon bei den Tugenden gemacht haben; insoweit nämlich die Gaben den Menschen vollenden für all jene Thätigkeit der Vermögen, für welche diese selben Vermögen bereits von seiten der Tugenden einigermaßen vollendet werden. Wie also die Tugenden in der Vernunft vorgezogen werden den moralischen Tugenden, und in diesen Tugenden die beschaulichen den auf das thätige Leben gerichteten, wie die Weisheit, das Verständnis und die Wissenschaft der Klugheit und der Kunst; — so werden bei den Gaben vorgezogen die Weisheit und das Verständnis, die Wissenschaft und der Rat der Gottergebenheit oder Frömmigkeit, der Stärke und der Furcht; und in diesen wird die Gottergebenheit vorgezogen der Stärke und diese der Furcht; wie auch die Gerechtigkeit voransteht der Stärke und diese der Mäßigkeit. Kommt es aber auf die Materie dieser Gaben an, so wird die Stärke und der Rat vorgezogen der Wissenschaft und der Gottergebenheit, weil die Stärke und der Rat sich auf das mit Schwierigkeiten Verbundene beziehen, die Gottergebenheit und die Wissenschaft aber auf das Gewöhnliche gerichtet sind. So also entspricht die Würde der Gaben ihrer Aufeinanderfolge beim Propheten; zum Teil schlechthin und ohne Ausnahme, wie die Weisheit und das Verständnis allen vorgezogen werden, zum Teil aber gemäß der vorliegenden Materie, wonach der Rat und die Stärke vorgezogen werden der Wissenschaft und der Gottergebenheit.
c) I. Die Furcht wird erfordert wie ein Beginn der durch die Gaben veranlaßten Vollendung, weil „der Anfang der Weisheit die Furcht Gottes ist;“ nicht weil sie würdevoller wäre. Denn zuerst entfernt man sich nach der Ordnung des Entstehens oder der Zeugung vom Schlechten, was nach Prov. 16. durch die Furcht geschieht, ehe man das Gute thut, was den anderen Gaben gedankt wird. II. Der Apostel vergleicht da die Gottergebenheit oder Frömmigkeit nicht mit den anderen Gaben, sondern mit der alleinigen körperlichen Übung, von der er vorher sagt, sie sei in etwa nützlich. III. Mit Rücksicht auf das Urteilen wird die Wissenschaft dem Rate vorgezogen; mit Rücksicht aber auf den Gegenstand oder die Materie der Rat dem Wissen. Denn Ratschlagen findet nur statt bei schwierigen Sachen, während Urteilen überall statthat. IV. Die „leitenden“ Gaben, die in der Vernunft sind, stehen freilich als würdevoller da wie jene Gaben, denen die Ausführung obliegt; wenn sie nämlich mit ihrer Beziehung zur Thätigkeit in Betracht gezogen werden, insoweit sie von dem Vermögen ausgehen, da die Vernunft den begehrenden Teil überragt, wie die Regel das Geregelte. Jedoch mit Rücksicht auf den Gegenstand oder die vorliegende Materie wird zur Stärke der Rat hinzugefügt und zur Gottergebenheit das Wissen; denn Rat und Stärke richten sich auf Schwieriges, Wissenschaft und Gottergebenheit auf Gewöhnliches.
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