Dritter Artikel. Die Seligkeiten werden gebührenderweise aufgezählt.
a) Das Gegenteil scheint wahr zu sein. Denn: I. Die Gaben, denen ja die Seligkeiten als Thätigkeiten zugeteilt werden, gehören teilweise dem beschaulichen und teilweise dem praktisch thätigen Leben an; während alle diese Seligkeiten nur auf das praktisch thätige Leben sich richten. Also ungenügend ist ihre Aufzählung. II. Auch für das praktisch thätige Leben sind diese Seligkeiten nicht genügend. Denn keine ist unter ihnen, welche den die Ausführung leitenden Gaben, wie der Wissenschaft und dem Rate, entspräche. Alle diese Seligkeiten beziehen sich nur auf die rein ausführende Thätigkeit. III. Unter den Gaben, die sich auf die rein ausführende Thätigkeit beziehen, scheint die Furcht Beziehung zu haben zur Armut; die Gottergebenheit oder Frömmigkeit zur Seligkeit der Barmherzigkeit. Keine aber unter den Seligkeiten bezieht sich auf die Stärke. Also ist die Aufzählung eine ungenügende. IV. Viele andere Seligkeiten berührt die Schrift, die hier nicht stehen; wie bei Job. 5.: „Selig der Mensch, der von Gott gebessert wird;“ oder Ps. 1.: „Selig der Mann, der dem Rate der Gottlosen nicht folgt;“ oder Prov. 3.: „Selig der Mann, welcher Weisheit findet.“ Also sind die Seligkeiten hier ungenügend aufgezählt. V. Eine Seligkeit ist überflüssig; denn acht werden aufgezählt und nur sieben Gaben giebt es. VI. Luk. 6. werden nur vier gesetzt. Also sind bei Matth. drei oder vier überflüssig.
b) Ich antworte, höchst zukommlicherweise werden diese Seligkeiten aufgezählt. Zu besserer Klarstellung dessen muß man erwägen, daß einzelne eine dreifache Seligkeit angenommen haben. Manche nämlich setzten sie in ein ergötzliches Leben; andere in ein praktisch thätiges Leben; und wieder andere in ein beschauliches. Diese drei Arten Seligkeit verhalten sich nun in verschiedener Weise zur zukünftigen Seligkeit, von der aus wir hier bereits selig genannt werden, weil wir sie erhoffen. Denn die erste Art ist eine falsche Seligkeit, ist der Vernunft entgegen und ein Hindernis für die zukünftige Seligkeit. Die Seligkeit eines praktisch thätigen Lebens aber bereitet vor zur künftigen Seligkeit. Und die Seligkeit des Anschauens, ist sie vollkommen, so bildet sie wesentlich die zukünftige Seligkeit; ist sie unvollkommen, so erscheint sie als ein Anfang derselben. Deshalb setzt nun der Herr einige Seligkeiten, welche das Hindernis des ergötzlichen, vergnügungsreichen Lebens für die zukünftige Seligkeit entfernen. Denn dieses ergötzliche Leben besteht in zweierlei: 1. im Überflusse der äußeren Güter, seien dies Reichtümer oder seien es Ehren, von denen der Mensch durch die Tugend in der Weise abgezogen wird, daß er sie mit einem gewissen Maße gebraucht; durch die Gabe aber in höherer Weise, daß er sie nämlich durchaus verachtet. Deshalb ist die erste Seligkeit: „Selig die Armen im Geiste,“ was sowohl auf die Verachtung des Reichtums wie auch der Ehren bezogen werden kann. Es besteht 2. das ergötzliche Leben darin, daß man seinen Leidenschaften folgt, seien es die in der Abwehr- oder seien es die in der Begehrkraft. Von den ersteren nun zieht die Tugend in der Weise ab, daß das Überflüssige gemäß der Regel der Vernunft abgeschnitten wird; die Gabe aber in höherer Weise, daß nämlich der Mensch gemäß dem göttlichen Willen ganz und gar ruhig gemacht werde mit Beziehung auf dieselben. Deshalb heißt die zweite Seligkeit: „Selig die Sanftmütigen.“ Von den Leidenschaften in der Begehrkraft zieht die Tugend ab, indem sie sich gebührend derselben bedient; die Gabe aber, wenn nötig, indem sie dieselben ganz entfernt oder sogar freiwillig darüber trauert. Deshalb heißt die dritte Seligkeit: „Selig, die trauern.“ Das praktisch thätige Leben aber besteht hauptsächlich in dem, was wir den Nächsten gewähren entweder als etwas Geschuldetes oder als etwas freiwillig Dargereichtes. Zum Ersten bereitet uns die Tugend vor, daß wir das, was wir dem Nächsten schulden, genau und ohne Weigern erstatten und das ist Gerechtigkeit; die Gabe aber leitet dazu, daß wir das mit Eifer und feurigem Verlangen thun, wie jemand, der hungernd und dürstend nach Speise und Trank sich sehnt. Deshalb ist nun die vierte Seligkeit: „Selig, die hungern und dursten nach der Gerechtigkeit.“ Rücksichtlich der freiwilligen Schenkungen mit Beziehung auf den Nächsten vollendet uns die Tugend, daß wir denen geben, für welche die Vernunft spricht, man solle ihnen geben, also Freunden, Verwandten u. dgl., was nämlich zur Freigebigkeit gehört; die entsprechende Gabe aber berücksichtigt aus Ehrfurcht vor Gott nur das Bedürfnis derer, denen wir Wohlthaten erweisen nach Luk. 14.: „Wenn du ein Mittagessen machst, so rufe nicht die Freunde oder deine Brüder… sondern die Armen rufe und die Schwachen;“ was im eigentlichen Sinne heißt: Barmherzigkeit üben. Deshalb ist die fünfte Seligkeit: „Selig die Barmherzigen.“ Mit Rücksicht aber auf das beschauliche Leben handelt es sich entweder um die schließliche Seligkeit oder um einen gewissen Anfang derselben; und deshalb wird dies in den Seligkeiten angesetzt, nicht wie das, was verdient, sondern bereits als Belohnung. Wie das, was verdient, also anstatt des Verdienstes, wie z. B. Armut, Sanftmut etc. steht hier eine Wirkung des praktisch thätigen Lebens, wodurch zum beschaulichen Leben der Mensch vorbereitet wird. Oine Wirkung nun des praktisch thätigen Lebens, wodurch der Mensch in sich selbst vollendet wird mit Bezug auf die Tugenden und Gaben, ist die Reinheit des Herzens, daß nämlich der menschliche Geist nicht durch Leidenschaften befleckt werde. Danach ist die sechste Seligkeit: „Selig, die reinen Herzens sind.“ Mit Beziehung auf den Nächsten aber wird der Mensch durch die Tugenden und Gaben vollendet vermittelst der Wirkung des praktisch thätigen Lebens, die da ist der Friede nach Isai. 32.: „Das Werk der Gerechtigkeit ist der Friede.“ Und danach ist die siebente Seligkeit: „Selig die Friedfertigen.“
c) I. Die Thätigkeiten, die den Tugenden und Gaben entsprechen, werden bezeichnet in den Verdiensten, soweit es auf das praktisch thätige Leben ankommt; also in der Armut, Sanftmut u. s. w. Die Thätigkeiten jener Gaben aber, die auf das beschauliche Leben Bezug haben, sind in den Belohnungen enthalten. Das Schauen Gottes entspricht dem Verständnisse als der Gabe; und gleichförmig sein mit Gott vermittelst der Adoptivkindschaft, gehört zur Gabe der Weisheit. II. Die Kenntnis bei dem, was zum praktisch thätigen Leben gehört, wird nicht wegen ihrer selbst gesucht, sondern wegen der entsprechenden Thätigkeit. (2 Ethic. 2.) Und weil die Seligkeit immer etwas Letztes besagt, so werden die Thätigkeiten der Gaben, die da leiten im praktisch thätigen Leben, nicht unter die Seligkeiten gezählt; wie z. B. Beraten die Thätigkeit ist, welche der Gabe des Rates entspricht und Urteilen die Thätigkeit der Wissenschaft. Vielmehr werden ihnen in den Seligkeiten jene Akte zugeschrieben, in denen sie leiten, die also ihr Gegenstand sind; wie der Wissenschaft das Trauern, dem Rate das Erbarmen. III. Soweit die Seligkeiten den Gaben zugeteilt werden, kann zweierlei berücksichtigt werden: 1. Das Eine ist die Gleichförmigkeit in der Materie, oder im Gegenstande; und danach können die ersteren fünf Seligkeiten zugeschrieben werden als der leitenden Richtschnur der Wissenschaft und dem Rate. Sie werden jedoch verteilt unter die Gaben, welche ausführen im thätigen Leben; so nämlich, daß der Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit und auch die Barmherzigkeit, zur Gottergebenheit, pietas, gehören, die da vollendet den Menschen mit Rücksicht auf den anderen; die Sanftmut aber gehört zur Stärke, wie Ambrosius sagt (sup. Luk. 6.): „Der Stärke gehört es zu, den Zorn zu überwinden, den Unwillen einzuschränken;“ denn die Stärke befaßt sich mit den Leidenschaften der Abwehrkraft. Die Armut und die Sanftmut aber entspricht der Gabe der Furcht, vermöge deren der Mensch sich zurückzieht von den Begierlichkeiten und Ergötzlichkeiten der Welt. 2. Anders dann können wir in den Seligkeiten betrachten deren Beweggründe; und so ist die Verteilung eine andere. Denn zur Sanftmut bewegt besonders die Ehrfurcht vor Gott, die zur Gottergebenheit gehört; und zum Trauern bewegt die Wissenschaft, vermöge deren der Mensch seine Fehler und Mängel kennt, nach Ekkle. 1. „Wer Wissenschaft hinzufügt, der fügt auch Schmerz hinzu.“ Zum Hungern und Dürsten nach der Gerechtigkeit aber bewegt besonders die Stärke. Zum Erbarmen der Rat Gottes nach Dan. 4.: „Mein Rat gefalle dem Könige; deine Sünden kaufe los durch Almosen und deine Missethaten durch Barmherzigkeit gegen die Armen.“ Und danach erklärt sie Augustin l. c. IV. Alle Seligkeiten in der Schrift lassen sich zurückführen entweder auf die hier erwähnten Verdienste, wie Armut, Sanftmut oder auf die hier genannten Belohnungen. So gehört das: „Selig der Mann, der gebessert wird“ zur Seligkeit der Trauer. „Nicht dem Rate der Gottlosen folgen“ gehört zur Reinheit des Herzens. „Die Weisheit finden“ ist die Belohnung der siebenten Seligkeit. V. Die achte Seligkeit ist eine Bestätigung und Zusammenfassung der sieben vorhergehenden. Denn weil jemand befestigt ist in der Armut des Geistes, in der Sanftmut etc.; daher kommt es, daß er von diesen Gütern nicht sich entfernt in der Zeit der Verfolgung. VI. Lukas berichtet die Rede, welche der Herr den Volksscharen hielt. Sonach erwähnt der Herr da nur, was der Fassungsfähigkeit des gewöhnlichen Volkes entsprach, welches ein vergnügliches Leben allein als Seligkeit hier auf Erden und in der Zeit kannte. Durch die vier Seligkeiten also hier schließt der Herr aus, was zu dieser letzteren Seligkeit zu gehören scheint. Das Erste ist der Überfluß äußerer Güter: das wird ausgeschlossen durch das: „Selig die Armen.“ Das Zweite ist das gute Essen und Trinken und Ähnliches: das schließt der Herr aus durch das: „Selig, die ihr hungert.“ Das Dritte ist das wonnige, angenehme Gefühl im Herzen: das wird aus geschlossen durch: „Selig, die ihr jetzt weint.“ Das Vierte ist die äußerliche Gunst der Menschen: das wird ausgeschlossen durch die Worte: „Selig werdet ihr sein, wenn euch die Menschen, hassen.“ Und so sagt dazu Ambrosius: „Die Armut entspricht der Mäßigkeit, welche das Verführende nicht sucht. Der Hunger gehört zur Gerechtigkeit, weil wer selbst hungert Mitleid hat und im Mitleide verteilt. Das Weinen entspricht der Klugheit, der es gebührt, das Vergängliche zu beweinen. Den Haß der Menschen ertragen, ist Stärke. VII. VIII.
