Dritter Artikel. “Sein“ und „wahr“ sind sachlich ein und dasselbe.
a) Dagegen,spricht: I. Das Wahre ist seinem eigensten Wesen nach in der Vernunft; das Sein aber in den Dingen. Also fällt beides dem wirklichem Sein nach nicht zusammen. II. Was sich auf das Sein ebenso gut erstreckt, wie auf das Nichtsein, kann nicht als ein und dasselbe betrachtet werden wie das Sein. Das Wahre aber erstreckt sich auf Sein und Nichtsein; denn wahr ist, daß etwas Sein hat und wahr ist es auch, daß etwas nicht Sein hat. Also „Sein“ und „wahr“ sind nicht dasselbe. III. Wenn das eine die Grundlage bildet für das Verständnis des anderen, so fallen beide anscheinend nicht zusammen. Das Wahre aber bildet die Grundlage für das Verständnis des Seins; denn nur, weil das Sein wahr ist, wird es verstanden. Aiso ist beides nicht dasselbe. Auf der,anderen Seite sagt Aristoteles (2 Metaph.): „Ganz das gleiche Verhältniß haben die Dinge zum Sein und zur Wahrheit.“
b) Ich antworte, daß, sowie das Gute seiner Natur nach begehrenswert ist, so besitzt das Wahre soviel an Sein als es Erkennbarkeit hat. Und deswegen sagt Aristoteles (3. de anima), „die Seele, die da, sei es dem Sinne sei es der Vernunft nach, erkennt, ist gewissermaßen alles.“ Und wie deshalb sachlich das Sein und das Gute zusammenfällt, so auch ebenfalls das Sein und das Wahre. Nur fügt das Gute die Beziehung zum Willen hinzu, es macht das „Begehrenswerte“; das Wahre aber fügt zum Sein hinzu die Beziehung zur Vernunft. Beide Beziehungen aber gründen in ein und demselben wirklichen Sein.
c) l. Das Wahre ist sowohl in den Dingen wie auch in der Vernunft. (Art. 1.) Das Wahre aber, wie es in den Dingen ist, fällt durchaus zusammen mit der inneren Substanz des Dinges; und das Wahre, was in der Vernunft ist, fällt zusammen mit dem wirklichen Sein, wie das Offenbarmachende mit dem Geoffenbarten. Insoweit das Gold z. B. seiner Natur des Goldes gemäß Wirklichsein hat und in der Weise wirklich ist, wie die innere Natur oder Substanz die Richtschnur angiebt: — insoweit ist das Gold wahr jener Wahrheit nach, die in den Dingen ist; und insoweit besagt das Wahre ebenso viel als daß das Gold geradeso in der einzelnen Wirklichkeit ist wie die innere Substanz besagt. Das Wirklichsein des Goldes offenbart aber auch die Art und Weise der inneren an und für sich umfaßbaren Substanz als einer reinen Möglichkeit; denn die Substanz ist so im Wirklichsein und das Wirklichsein wieder wird so getragen von der Substanz, daß nichts im Dinge sich vorfindet, was nicht substantiell Gold wäre und nichts, was nicht dieses wirkliche Gold wäre. Insofern also das Wirklichsein des Goldes in der Vernunft die zu Grunde liegende Substanz offenbart, so daß ausgesagt werden kann: „Das ist Gold;“ insofern ist das Wahre in der Vernunft und fällt zusammen mit dem Sein des Goldes we das Offenbarende mit dem Geoffenbarten. Ich sage dann auf Grund der aufgefaßten Wirklichkeit: dieses Gelbe, Leuchtende u. s. w. ist eine Einheit mit dem an und für sich verborgenen, jetzt aber durch die Wirklichkeit geoffenbarten Wesen „Gold“. Erst in der Vernunft gewinnt sonach das Einzelne zusammen mit dem Allgemeinen, das Wirkliche der Existenz zusammen mit dem Möglichen der inneren Substanz, eine rechte Einheit; das eine ist nach verschiedenen Beziehungen das Offenbarsein des anderen. Es kann jedoch auch gesagt werden, daß das Sein in den Dingen ist und in der Vernunft gleichwie das Wahre; jedoch ist das Wahre in erster Linie und maßgebenderweise in der Vernunft und erst unter Beziehung auf die Vernunft in den Dingen. Das Sein aber verhält sich umgekehrt; es ist in erster Linie in den Dingen. Diese Verschiedenheit hat aber ihren einzigen Grund in der Auffassung von den verschiedenen Beziehungen seitens der Vernunft. II. Das Nichtsein hat nichts in sich, um erkannt zu werden; es wird erkannt, insoweit die Vernunft es Erkennbar macht. Sonach ist immerhin das Wahre nur im Sein begründet; denn das Nichtsein ist nur eine gewisse Auffassung der Vernunft, die da wieder schließlich vom Sein veranlaßt wird. III. Wenn gesagt wird, daß das Sein nicht erfaßt werden kann außer auf Grund dessen, daß das Wahre erfaßt worden ist, so läßt dies ein doppeltes Verständnis zu. Einmal so: daß das Sein nicht erfaßt werde, ohne daß das Wahre diese Auffassung begleite; — und in diesem Sinne ist es wahr. Dann so: daß das Wesen des Seins nicht erfaßt werde, ohne daß vorher das Wesen des Wahren erfaßt sei, daß ich also zuerst erkennen und aussagen müßte: Dies ist wahr, ehe ich aussagen kann: Das ist; — und so ist es falsch. Wohl aber kann umgekehrt das Wahre nicht erfaßt werden, ehe nicht vorher das Sein der Vernunft gegenwärtig ist; denn das Sein ist im Begriffe des Wahren vorausgesetzt. Und ähnlich ist es, wenn das Erkennbare zum Sein in Beziehung gebracht wird. Denn kein Sein kann verstanden werden, ohne daß dieses Sein erkennbar sei. Und doch kann die Vernunft auffassen, daß nämlich etwas ist, ehe sie auffaßt, dieses selbe sei Gegenstand der Vernunft. Das verstandene Sein ist wahr; aber nicht verstehe ich damit, daß ich das Sein verstehe, zugleich das Wahre.
