Siebenter Artikel. Der Umstand kann die Sünde erschweren.
a) Das Gegenteil scheint wahr zu sein. Denn: I. Die Sünde hat ihre Schwere von der Gattung, der sie zugehört. Der Umstand aber giebt nicht der Sünde ihre Gattung; sondern ist nur etwas Hinzutretendes. Also hängt von keinem Umstande die Schwere der Sünde ab. II. Entweder ist ein Umstand böse oder gut. Ist er böse, so verursacht er von sich aus eine gewisse Gattung Böses. Ist er gut, so geht Gutes von ihm aus. In keinem Falle vermehrt er die Schwere der Sünde. III. Die Bosheit in der Sünde hält sich auf seiten der Abkehr von Gott. Die Umstände aber halten sich auf seiten der Zuwendung zu einem Gute; wann, wo, wie dieses geschehen soll. Also vermehrt kein Umstand die Schwere der Sünde. Auf der anderen Seite vermindert die Unkenntnis eines Umstandes die Sünde; denn wer aus Unkenntnis eines Umstandes sündigt, verdient Nachlaß. (3. Ethic. 1.) Also erschwert mancher Umstand die Sünde; sonst könnte die Unkenntnis desselben sie nicht vermindern.
b) Ich antworte, von dem aus, wovon etwas hervorgebracht ist, sei es geeignet, vermehrt zu werden. (2. Ethic. 1.) Offenbar aber verursacht der Mangel eines gebührenden Umstandes eine Sünde; denn man weicht von der Ordnung der Vernunft dadurch ab, daß man nicht die gehörigen Umstände beachtet. Also kann auch durch die Umstände eine Sünde erschwert werden. Dies aber hat in dreifacher Weise statt: 1. Ein Umstand kann die Sünde in das Bereich einer anderen „Art“ Sünde versetzen. So z. B. sündigt der Unkeusche mit einer Person, die nicht seine Frau ist; ist diese aber die Frau eines anderen, so ist damit schon die „Art“ der Sünde eine andere, denn es ist ein Unrecht an einem anderen, was er begeht; und demnach ist der Ehebruch eine schwerere Sünde wie die einfache.Unkeuschheit. 2. Ein Umstand kann den Grund der nämlichen Sünde vervielfältigen; wie wenn der Verschwenderische giebt, wann er nicht soll und wem er nicht soll, der Grund der Sünde vielfältiger ist als wenn er bloß giebt, wem er nicht soll. So ist auch eine Krankheit schwerer, die mehrere Organe des Körpers angreift. Deshalb sagt Cicero (parad. 3.): „Wer das Leben seines Vaters untergräbt, sündigt vielfach; denn er untergräbt das Leben dessen, der ihn erzeugt, ernährt, erzogen etc. hat.“ 3. Der eine Umstand kann vermehren die Häßlichkeit der Sünde, die von einem anderen Umstände herrührt; wie z. B. wer fremdes Geld nimmt, einen Diebstahl begeht. Wenn aber der andere Umstand hinzutritt, daß er nämlich viel nimmt, so ist die Sünde schwerer; mag auch „viel“ oder „wenig“ an sich betrachtet weder den Charakter des Guten noch des Bösen besagen.
c) I. Es giebt Umstände, welche dem Akte seine Gattung verleihen. Wie aber die Güte einer Sache nicht allein von ihrem Wesen abhängt, sondern auch von hinzutretenden Eigenschaften, so kann auch ein zur Gattung hinzutretender Umstand die Schwere der Sünde vermehren. II. Ist der Umstand „schlecht“, so kann er hinzufügen zu der bereits bestehenden Bosheit der Sünde, ohne daß er der Sünde ihre Gattung giebt, ist der Umstand nicht schlecht, so kann er die Sünde erschweren mit Rücksicht auf die Bosheit, die mit einem anderen Umstande verbunden ist. III. Die Vernunft muß die Thätigkeit regeln, auch mit Bezug auf die gebührenden Umstände. Und deshalb ist ein Abweichen von der Regel der Vernunft gemäß der Verkehrtheit eines jeden Umstandes; wenn jemand z. B. nicht wirkt, wo und wann er soll. Diesem Abweichen von der Vernunft nun folgt nach im selben Grade die Abkehr von Gott, mit dem der Mensch vermittelst der rechten, geraden Vernunft verbunden werden soll.
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