Sechster Artikel. Die Schwere der Sünde hängt ab von der Ursache der Sünde.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Je größer die Ursache für eine Sünde ist, desto heftiger treibt sie zur Sünde an und desto schwieriger ist es, zu widerstehen. Dies ist aber ein Milderungsgrund für die Sünde; denn eine Sünde, welche der Schwäche in der Widerstandskraft entstammt, wird als eine leichtere beurteilt. II. Die Begierlichkeit ist eine gewisse allgemeine Ursache der Sünde, wie die Glosse sagt zu Rom, 7. (nam concupiscentiam nesciebam): „Gut ist das Gesetz, das da, während es die Begierlichkeit hindert, alles Böse hindert.“ (Aug. de spir. et litt. 4.) Je größer nun die Begierlichkeit ist, durch welche der Mensch überwunden wird, desto geringer ist die Sünde. Die Schwere der Sünde also wird vermindert durch die Größe der Ursache. III. Die Geradheit der Vernunft ist die Ursache der tugendhaften Thätigkeit; und ebenso der Mangel an Kraft der Vernunft die Ursache des Bösen. Je mehr aber die Vernunft fehlt, desso geringer ist die Sünde, so daß, wer des Gebrauches der Vernunft ermangelt, nicht sündigt und wer aus Unkenntnis sündigt, nicht so schwer sündigt. Also. Auf der anderen Seite wird die Wirkung vervielfältigt durch die Vervielfältigung der Ursache. Ist also die Ursache der Sünde größer, so ist auch schwerer die Sünde.
b) Ich antworte; in der Seinsart „Sünde“ kann wie in jeder Seinsart eine doppelte Ursache berücksichtigt werden: die eine ist an und für sich die eigens entsprechende Ursache der Sünde; das ist der Wille zu sündigen, der zur Sünde im nämlichen Verhältnisse steht wie der Baum zur Frucht. Und eine derartige Ursache beeinflußt direkt den Grad der Schwere der Sünde. Denn je größer der Wille ist zu sündigen, desto schwerer sündigt der Mensch. Andere Ursachen der Sünde aber werden berücksichtigt wie äußerliche und entfernte, vermittelst deren der Wille nur gebeugt oder hingeneigt wird zum Sündigen. Und in diesen Sünden muß man dann unterscheiden: Denn einzelne von diesen Ursachen führen den Willen zur Sünde gemäß der Natur selber des Willens, wie der Zweck, der eigentlichste Gegenstand des Willens; und von solcher Ursache aus wird die Sünde schwerer, denn schwerer sündigt wer einen schlechteren Zweck beabsichtigt. Andere Ursachen aber beugen den Willen absehend von der Natur des Willens und der mit ihm zusammenhängenden Ordnung, nach welcher der Wille von Natur geeignet ist, von sich allein aus gemäß dem Vernunfturteil in Thätigkeit zu sein. Ursachen also, welche das Vernunfturteil vermindern, wie die Unkenntnis, oder welche vermindern die freie selbständige Willensbewegung wie die Schwäche, die Heftigkeit, die Furcht u. dgl. vermindern ebenso die Sünde wie den Willen, so zwar daß, wenn die Thätigkeit durchaus unfreiwillig ist, sie nicht den Charakter der Sünde trägt.
c) I. Hier ist von einer äußerlichen entfernten Ursache die Rede, welche den Charakter des „Freiwilligen“ vermindert und somit auch den der Sünde. II. Wenn die Begierlichkeit die Willensbewegung selber in sich einschließt, so ist da größere Sünde, wo größere Begierlichkeit ist. Ist aber die Begierlichkeit Leidenschaft, also die Bewegung der Begehrkraft, so vermindert sie, wenn sie vorhergeht, das Vernunfturteil und die Thätigkeit des Willens und somit auch die Sünde; denn je größer solche Begierlichkeit, desto größer die Versuchung und desto minder wird die Sünde angerechnet. Folgt aber die Begierlichkeit, so ist da, wo sie größer ist, schwerer die Sünde. Denn größere Begierlichkeit ersteht da, wo zügellos der Wille auf seinen Gegenstand sich richtet. III. Jene da erwähnte Ursache begründet das Unfreiwillige.
