Achter Artikel. Je mehr die Sünde schadet, desto schwerer ist sie.
a) Das Gegenteil wird bewiesen. Denn: I. Der Schaden folgt der Sünde. Solches aber, was erst nachfolgt, kann von sich aus nicht die Bosheit der Sünde vermehren; es müßte dann vor der Sünde sein. II. Der Schaden einer Sünde findet sich zumeist in den Sünden gegen den Nächsten. Denn Gott gegenüber kann niemand schaden: „Wenn vervielfältigt sind deine Bosheiten,“ so Job 35., „was willst du thun gegen Ihn… Dem Menschen nur, der dir ähnlich ist, schadet deine Bosheit.“ Würde also die Sünde infolge des daraus erwachsenden Schadens schwerer, so würde am Ende die Sünde gegen den Nächsten schwerer sein wie die gegen Gott. III. Das Leben der Gnade ist besser wie das der Natur, welches ja um der Gnade willen verachtet werden muß. Also macht jemand einem anderen mehr Schaden, wenn er ihn um das Leben der Gnade bringt als wenn er ihn des Lebens der Natur beraubt. Wer aber eine Person zur Unkeuschheit verleitet, beraubt diese des Lebens der Gnade. Also würde die Sünde der Unkeuschheit in solchem Falle schwerer sein, wenn das hier Behauptete richtig wäre, wie der Mord; was falsch ist. Also der nachfolgende Schaden vermehrt nicht die Schwere der Sünde. Auf der anderen Seite sagt Augustin (3. de lib. arb. 4.): „Weil das Laster entgegen ist der Natur, so wird so viel Bosheit zu den Lastern hinzugefügt als der vollständige Wohlbestand der Naturen verringert wird.“ Letzteres aber ist dasselbe wie „der Natur schaden.“ Also.
b) Ich antworte, der aus der Sünde erwachsende Schaden kann betrachtet werden: 1. als ein vorhergesehener und beabsichtigter; — und dann vermehrt der Umfang des Schadens die Schwere der Sünde, denn in diesem Falle ist der Schaden an sich Gegenstand der Sünde. 2. Der Schaden kann sein ein vorhergesehener, aber nicht beabsichtigter; wie wenn jemand, um etwas zu stehlen, durch den Acker geht, damit er schneller an das Ziel komme; nicht aber mit dem bösen Willen, den Saaten zu schaden; — und dann vermehrt der Umfang des Schadens ebenfalls die Schwere der Sünde; freilich nicht unmittelbar, aber mittelbar, weil er zeigt, wie groß im Willen die Neigung zur Sünde ist, daß man nämlich nicht unterläßt, sich oder anderen Schaden zu thun, nur um die Sünde zu vollenden. 3. Der Schaden kann sein weder vorhergesehen noch beabsichtigt, sondern rein nebensächlich; — und dann erschwert er nicht zwar direkt oder unmittelbar die Sünde, jedoch werden die Übel, die folgen, dem Menschen bei Verfügung der Strafe angerechnet, soweit es seine Nachlässigkeit betrifft, daß er den hervortretenden Schaden nicht vorausgesehen. Folgt aber der Schaden auch der nicht vorhergesehene und nicht beabsichtigte, der Sünde ihrer Natur nach, so beschwert er die Sünde unmittelbar oder direkt. Denn was an sich dem Wesen der sündigen Handlung folgt, gehört gewissermaßen mit zur Gattung oder zum Wesen der Sünde; wie wenn jemand öffentlich Unkeuschheit begeht, daraus das Ärgernis vieler folgt und so die Sünde erschwert, wenn auch an letzteres nicht gedacht worden ist. Eine andere Betrachtung jedoch muß man anstellen rücksichtlich des Schadens, der dem Sünder selbst aus seiner Sünde erwächst. Ist ein solcher Schaden rein nebensächlich und weder vorhergesehen noch beabsichtigt, so erschwert er in keiner Weise die Sünde; wie z. B. wenn jemand, der töten will, fällt und sich den Fuß verletzt. Ist aber ein solcher Schaden an sich mit der Natur der Sünde verbunden, mag er auch weder Vorhergesehen noch beabsichtigt sein, so macht der größere Schaden nicht, daß die Sünde größer ist; sondern umgekehrt veranlaßt die größere Sünde einen schwereren Schaden. So wird z. B. ein Ungläubiger für den Mord eine größere Strafe erleiden wie für den Diebstahl in der Hölle, von der er nichts gehört hat. Denn weil er diese Strafe nicht vorhergesehen und nicht beabsichtigt hat, wird dadurch die Sünde nicht schwerer, wie beim Gläubigen, der dadurch, bereits schwerer sündigt, weil er die größten Strafen verachtet, nur damit er sündige; jedoch die Schwere solchen Schadens wird allein verursacht durch die Schwere der Sünde.
c) I. Der vorhergesehene und beabsichtigte Ausgang erhöht die Bosheit der Sünde. (Kap. 20.) II. Nicht an und für sich beschwert der Schaden die Sünde; die Sünde ist vielmehr deshalb schwerer, weil der Wille in diesem Falle zur Sünde geneigter und bereitwilliger erscheint. Der Schaden beschwert also, insoweit er macht, daß die Thätigkeit in höherem Grade ungeregelt sei. Daß also der Schaden meist statthat in den Sünden gegen den Nächsten, bewirkt nicht, daß diese die schwersten sind. Denn eine viel größere Regellosigkeit findet sich in den Sünden gegen Gott und selbst in manchen gegen sich selbst. Und doch kann man zwar Gott in seiner Substanz nicht schaden, aber wohl in dem, was Gottes ist; wie wenn man den Glauben ausrottet, die Heiligtümer entweiht, was im höchsten Grade schwere Sünden sind. Auch sich selber kann man schaden, wie z. B. der Selbstmörder. III. Der Mörder beabsichtigt direkt den Schaden des Nächsten; der Unkeusche das Ergötzen. Und dann ist der Mörder an und für sich die hinreichende Ursache des körperlichen Todes. Geistig zu sterben aber kann niemand gezwungen werden; dazu genügt keine äußere Ursache, sondern nur der eigene Wille.
