Neunter Artikel. Der Umstand der Person, gegen die man sündigt, beschwert oft die Sünde.
a) Dies kann nicht sein. Denn: I. Im genannten Falle würde die Sünde, die man gegen einen Heiligen und Gerechten begeht, dadurch selber eine schwerere sein. Das ist aber nicht der Fall. Denn der Tugendhafte wird minder verletzt durch has ihm angethane Unrecht, wie der Ungeduldige und Hochmütige. II. Es würde dann schwerer gesündigt werden, wenn man gegen nähere Verwandte sündigt; wie Cicero (parad. 3.) sagt: „Tötet man einen Sklaven, so ist das eine Sünde; tötet man seinen Vater, so sind das viele Sünden.“ Die nahe Verwandtschaft aber beschwert nicht die Sünde. Denn jeder steht sich selbst am nächsten; und doch sündigt jemand minder schwer, wenn er sich schadet als wenn er es dem Nächsten gegenüber thut, z. B. wenn er sein Pferd tötet als wenn er das des Nächsten tötet. Also der Umstand, daß die Person, gegen welche man sündigt, nahe verwandt ist, macht die Sünde nicht schwerer. III. Man würde im behaupteten Falle schwerer sündigen, wenn man gegen eine hochstehende oder sehr weise Person sündigte. Denn auch die Wissenschaft oder Würde der sündigenden Person scheint die Sünde schwerer zu machen nach Sap. 6.: „Die Gewaltigen werden gewaltige Qualen erleiden,“ und nach Luk. 12.: „Der Knecht, der den Willen seines Herrn weiß und ihn nicht thut, wird viel Strafe zu verbüßen haben.“ Dies scheint aber nicht der Fall zu sein. Denn „bei Gott ist kein Ansehen der Person“ (Koloss. 3.); also ist es keine schwerere Sünde, einem Reichen unrecht zu thun wie einem Armen. Und sonach, da das Urteil über die Schwere einer Sünde sich nach Gottes Urteil richten muß, hat der Umstand der Person keinerlei Einfluß für die Schwere der Sünde. Auf der anderen Seite wird in der Schrift besonders die Sünde getadelt, welche man gegen die Diener Gottes begeht nach 3. Kön. 19.: „Deine Altäre zerstörten sie und Deine Propheten haben sie getötet mit dem Schwerte.“ Zudem wird im höchsten Grade getadelt die Sünde gegen verwandte Personen nach Mich. 7.: „Der Sohn macht Schande seinem Vater, die Tochter steht auf gegen ihre Mutter.“ Und die Sünnde gegen hochgestellte Personen wird auch getadelt: „Der dem Könige sagt: Abtrünniger; der da nennt die höchsten Vorgesetzten Gottlose.“
b) Ich antworte, die Person, gegen welche gesündigt wird, ist gewissermaßen der Gegenstand der Sünde. Nun hängt zu allererst die Schwere einer Sünde vom Gegenstande ab, insoweit dieser dem letzten Endzwecke näher steht; und so sind Gott, der sündigende Mensch selbst und der Nächste die hauptsächlichsten Zwecke der menschlichen Thätigkeiten. Also muß nach diesen drei Richtungen hin der Umstand der Person erwogen werden. Und zwar: 1. von seiten Gottes, mit dem jemand um so mehr verbunden ist, je größere Tugend er hat; wer also einer solchen Person Unrecht anthut, dessen Unrecht scheint Gott selber angethan, nach Zachar. 2.: „Wer euch berührt, der berührt die Pupille meines Auges;“ je näher also eine Person Gott steht entweder auf Grund der Tugend oder auf Grund ihres Amtes, desto größer ist die Sünde; — 2. von seiten dessen, der sündigt; denn jene Sünde ist größer, die gegen eine näher verwandte Person begangen wird oder gegen einen Wohlthäter, da, je näher diese Person mit dem Sünder verbunden ist, desto mehr dieser gegen sich selbst zu sündigen scheint, nach Ekkli. 14.: „Wer für sich selber nichtswürdig ist, für wen wird der gut sein;“ — 3. von seiten des Nächsten; und so ist eine Sünde größer, die mehrere zum Gegenstande hat; wie z. B. die Sünde gegen einen König, der den ganzen Staat vertritt, größer ist wie die gegen eine Privatperson. Deshalb sagt Moses (Exod. 24.): „Den Fürsten deines Volkes schmähe nicht.“ Und so erscheint auch die Sünde gegen eine berühmte Person größer, weil dadurch mehrere verwirrt und geärgert werden.
c) I. Wer einem Tugendhaften unrecht thut, verwirrt diesen, soweit er, der Sünder, in Frage kommt, innerlich und äußerlich. Daß aber der Tugendhafte nun thatsächlich nicht verwirrt wird, das rührt von dessen Vollkommenheit her, welche das Gewicht des Unrechts nicht vermindert. II. Wenn jemand in dem sich Schaden thut, worüber er frei verfügen kann, so hat dies insoweit weniger den Charakter der Sünde als wenn einem anderen Schaden angethan wird; denn er thut dies mit seinem freien Willen. In dem Allem aber, worüber jemand nicht frei verfügen kann, wie dies die natürlichen (z. B. das Leben) und die geistigen (z. B. Gnade) Güter sind, ist es schwerere Sünde, sich selbst Schaden zu thun wie dem Nächsten. Denn schwerer sündigt, wer sich selbst als wer einen anderen tötet. Weil aber die Dinge, welche anderen gehören, unserer Verfügung nicht unterstehen; so gilt der Einwurf nicht, soweit es den Schaden in den ihnen zugehörigen Dingen betrifft; außer er müßte mit ihrer Einwilligung verursacht worden sein. II. Gott straft jenen, der gegen höhere Personen sündigt, schwerer; nicht weil er die Personen ansieht, sondern weil solches Sündigen vielen zum Schaden gereicht.
