Zehnter Artikel. Die Größe der sündigenden Person beschwert die Sünde.
a) Dies ist nicht der Fall. Denn: I. Der Mensch wird dadurch am meisten groß, daß er Gott anhängt nach Ekkli. 25.: „Wie groß ist doch jener, der Weisheit und Wissen gefunden; aber er steht nicht höher wie derjenige, welcher Gott fürchtet.“ Je mehr nun jemand Gott anhängt, desto weniger wird etwas als Sünde angerechnet, nach 2. Paral. 30.: „Der gute Herr wird allen gnädig sein, die von ganzem Herzen den Herrn suchen, den Gott ihrer Väter; und nicht wird es ihnen angerechnet werden, daß sie weniger geheiligt sind.“ II. „Bei Gott ist kein Ansehen der Person.“ (Röm. 2.) Also nicht mehr bestraft Gott für die nämliche Sünde den einen wie den anderen. III. Niemand darf einen Nachteil haben vom Guten. Es würde dies aber der Fall sein, wenn einem Großen infolge des Gutes der Größe, das er hat, eine Schuld mehr angerechnet würde wie einem anderen. Auf der anderen Seite sagt Isidorus (2. de summo bono 18.): „Eine um so größere Sünde besteht, für je größer jener gehalten wird, der sie begeht.“
b) Ich antworte, eine Art Sünden komme aus Übereilung wegen der Schwäche der menschlichen Natur. Und solche Sünden werden minder angerechnet dem, der in der Tugend größer ist; weil er in minderem Grade vernachlässigt, derartige Sünden zu unterdrücken, deren vollendete Unterdrückung die menschliche Schwäche doch nicht zuläßt. Die andere Art Sünden kommt von der Überlegung her; und diese Sünden werden jemandem um so mehr angerechnet, je größer er ist. Und das kann sein auf Grund von viererlei: 1. Weil leichter widerstehen können die größeren, die nämlich z. B. in der Tugend oder in der Wissenschaft hervorragend sind; — 2. wegen der Undankbarkeit; weil jedes Gut, was der Mensch hat, eine Wohlthat Gottes ist; und wer somit mehr empfangen hat, dessen Sünde ist gerade deshalb um so schwerer, weil er trotzdem seinen Wohlthäter beleidigt; und zwar betrifft dies auch zeitliche Güter: „Die Gewaltigen werden gewaltige Pein leiden,“ heißt es deshalb bei Sap. 6; — 3. wegen des besonderen Gegensatzes mancher Sünden zur Größe der sündigenden Person; wie wenn z. B. ein Fürst die Gerechtigkeit verletzt, der sie beschützen soll, oder wenn ein Priester Unkeuschheit thut, der Keuschheit gelobt hat; — wegen des Ärgernisses; wie Gregor in der Pastoral (part. 1. c. 2.) sagt: „Die Schuld wird nach der Seite des Beispieles hin weit ausgedehnt, wenn auf Grund der hohen Stufe, die der Sünder einnimmt, er sehr in Ehren gehalten wird.“ Zudem kommen die Sünden der Großen zur Kenntnis vieler und die Menschen ertragen sie mit größerem Unwillen,
c) I. Es ist da von der ersten Art Sünden die Rede, die aus Übereilung, also infolge menschlicher Schwäche geschehen. II. Die Größe derer, die sündigen, vermehrt die Schwere der Sünde; und deshalb straft Gott die Sünden der Großen mehr. III. Der Große, welcher sündigt, hat keinen Nachteil vom Guten, was er besitzt; sondern vom schlechten Gebrauche desselben.
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