Vierter Artikel. Die Sinnlichkeit kann nicht Sitz von Todsünden sein.
a) Es scheint, daß im sinnlichen Teile Todsünden ihr Subjekt haben können. Denn: I. Die Thätigkeit wird erkannt vom Gegenstande aus. Rücksichtlich der Gegenstände des sinnlichen Teiles aber kann man schwer sündigen; wie z. B. rücksichtlich der fleischlichen Ergötzung. Also die Thätigkeit der Sinnlichkeit kann Todsünde sein; und so wäre die Sinnlichkeit Sitz oder Subjekt der Todsünde. II. Die Todsünde steht gegenüber der Tugend. Die Tugenden aber wie die Stärke, die Mäßigkeit, können im sinnlichen Teile sein; also auch die Todsünden. III. Die läßliche Sünde bereitet vor zur Todsünde. Die Vorbereitung aber und der Zustand selber sind im nämlichen Subjekte. Da also die läßliche Sünde im sinnlichen Teile sein kann, so auch die Todsünde. Auf der anderen Seite sagt Augustin (1. Retr. 23.): „Die ungeregelte Bewegung der Begierlichkeit, die da ist die Sünde der Begierlichkeit, kann auch in denen sein, die im Stande der Gnade sind;“ der mit der Todfünde sich nicht verträgt.
b) Ich antworte, wie die Regellosigkeit, die das Princip des körperlichen Lebens verdirbt, den körperlichen Tod verursacht, so verursacht nur jene Regellosigkeit, welche das Princip des geistigen Lebens, nämlich die Beziehung zum letzten Endzwecke verdirbt, den Tod der Seele oder die Todsünde. Hinbeziehen aber etwas zum Zwecke ist nicht Sache der Sinnlichkeit, sondern nur der Vernunft; und Regellosigkeit rücksichtlich des Zweckes ist nur in Jenem, dem es zugehört, hinzuordnen zum Zwecke. Also kann die Todsünde nicht in der Sinnlichkeit, sondern nur in der Vernunft sein.
c) I. Der Akt der Sinnlichkeit kann mit beitragen zur Todsünde; nicht deshalb aber besteht eine Todsünde dann, weil der Akt angehört der Sinnlichkeit, sondern weil er der Vernunft angehört, deren Sache es ist, zum Zwecke hinzubeziehen. Die Todsünde also findet sich nur im vernünftigen Teile. II. Der Tugendakt wird ebenfalls immer vollendet durch die Thätigkeit des vernünftigen Teiles, dem es zugehört zu wählen. Deshalb ist mit der moralischen Tugend, die im sinnlichen Begehren ihren Sitz hat, immer verbunden die Thätigkeit der Vernunft vermittelst der Klugheit. Und so ist es auch mit der Todsünde. III. Die Vorbereitung ist 1. dieselbe mit dem Zustande im selben Subjekte, wie die angefangene Wissenschaft die Vorbereitung ist für die vollendete; 2. ist sie nicht dieselbe mit dem Zustande, aber im selben Subjekte; wie die Wärme vorbereitet für das Feuer; 3. ist sie nicht dieselbe wie der Zustand, zu dem sie vorbereitet, und nicht im selben Subjekt, wie in den Dingen, die Beziehung haben zu einander, so daß man vom einen zum anderen gelangt; wie z. B. die Güte der Einbildungskraft die Vorbereitung ist für die Wissenschaft, die doch in der Vernunft ist. Und so, in dieser letzten Weise, kann die läßliche Sünde, die in der Sinnlichkeit sich findet, die Vorbereitung sein für die Todsünde, die im vernünftigen Teile ihren Sitz hat.
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