Siebenter Artikel. Die Sünde der Zustimmung zur Thätigkeit ist in der höheren Vernunft, die Gott und dem Göttlichen zugewandt ist.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Zustimmen ist Sache der begehrenden Kraft (Kap. 15, Art. 1.); die Vernunft aber ist eine auffassende. II. „Die höhere Vernunft blickt auf das Ewige und die göttlichen Ratschlüsse befragt sie“ nach Augustin. (12. de Trin. 7.) Zuweilen aber stimmt man ohne dies der Sünde zu. III. Wie vermittelst der in Gott verborgenen ewigen Gründe der Mensch regeln kann seine äußeren Thätigkeiten; so auch die inneren Ergötzlichkeiten oder andere Leidenschaften. „Zustimmen aber einem Ergötzen, ohne daß die äußere That folgt, ist (l. c.) Sache der niederen Vernunft.“ Also ist auch die Zustimmung zum Akte der Sünde manchmal Sache der niederen Vernunft. IV. Bisweilen ist der Mensch thätig, einzig auf Grund des Auffassens von seiten der Einbildungskraft ohne alles Überlegen der Vernunft, wie wenn jemand unüberlegt den Fuß oder die Hand bewegt. Also kann auch um so mehr die niedere Vernunft bisweilen zustimmen zum vollen Akt der Sünde ohne die höhere. Auf der anderen Seite sagt Augustin (I. c. cap. 12.): „Wenn bei der Zustimmung, der Dinge sich schlecht zu bedienen, welche der Sinn des Körpers darbietet, so die Sünde beschlossen wird, daß sie auch, wenn möglich, mit dem Körper vollendet werde; dann ist zu urteilen, daß das Weib dem Manne die verbotene Frucht gereicht habe.“ Unter dem Manne versteht aber Augustin die höhere Vernunft. Also ihr gehört es an, die Zustimmung zu geben zum vollen Akte der Sünde.
b) Ich antworte, Zustimmen schließe ein das Urteil darüber, wozu die Zustimmung gegeben wird. Denn wie die spekulativ beschauliche Vernunft urteilt und meint rücksichtlich der rein erkennbaren Dinge, so urteilt und meint die thätig wirksame, praktische Vernunft rücksichtlich des zu Wirkenden. Bei jedem Urteile aber gehört das letzte, appellose Urteil dem höchsten Richterstuhle an; denn wenn z. B. im spekulativen Bereiche noch ein höheres Princip übrig bleibt, so könnte ja noch das bis dahin geltende Urteil weiter geprüft und danach berichtigt werden, so daß ein Endausspruch nicht gegeben wäre. Offenbar nun können die menschlichen Thätigkeiten geregelt werden durch die menschliche Vernunft, insoweit dieselbe aus den geschaffenen Dingen ihr Urteil schöpft, welche der Mensch kraft seiner Natur kennt. Weiter aber können sie geregelt werden durch das göttliche Gesetz. Also muß der Endausspruch angehören der höheren Vernunft, welche dem göttlichen Gesetze zugewendet ist und danach als dem höchsten Richterstuhle das Urteil fällt. Unterliegt nun Mehreres dem Urteile, so betrifft der Endausspruch das Letzte in diesem Mehreren. Zuletzt aber in den menschlichen Thätigkeiten kommt die Thätigkeit, der Akt selber; und wie eine Vorbereitung dazu, welche den Akt als einen angenehmen hinstellt und so dazu anleitet, ist das Ergötzen. Die Zustimmung zum Akte selber der Sünde also gehört im eigentlichsten Sinne der höheren Vernunft an; der niederen Vernunft gehört an als das untergeordnete Urteil und gleichsam als vorbereitendes das über die Ergötzung. Jedoch kann über letztere auch die höhere Vernunft urteilen; denn der Gegenstand des niederen Gerichtshofes kann auch den des höheren bilden, aber nicht umgekehrt.
c) I. Zustimmen ist nicht schlechthin eine Thätigkeit des begehrenden Teiles; sondern unter Voraussetzung der überlegenden und urteilenden Vernunft. Da ist der Abschluß der Zustimmung; denn der Wille richtet sich auf das, was durch das vernünftige Urteil bereits festgestellt ist. II. Darin eben besteht das Zustimmen der höheren Vernunft, daß sie die menschliche Thätigkeit nicht regelt nach dem göttlichen Gesetze und nicht hindert die Sünde; sei es daß sie an das ewige Gesetz denkt oder nicht. Denn denkt sie an letzteres, so verachtet sie es thatsächlich; denkt sie nicht daran, so vernachlässigt sie es in der Weise einer Unterlassung. In jeder Beziehung also geht die Zustimmung zum Akte der Sünde von der höheren Vernunft aus; denn, sagt Augustin (I. c.), „nicht kann die Begehung der Sünde wirksamerweise vom vernünftigen Geiste beschlossen werden, außer wenn jene Richtung des Geistes, bei der die höchste Gewalt ruht, die Glieder zum Werke hinzubewegen oder davon fernzuhalten, der schlechten Handlung nachgiebt oder ihr dient.“ III. Freilich kann die höhere Vernunft vermittelst der Erwägung des göttlichen Gesetzes sowohl die innerliche wie die äußerliche Thätigkeit leiten oder unterdrücken, also auch das innerliche Ergötzen. Bevor jedoch man zum Urteile der höheren Vernunft gelangt, kommt es vor, daß die niedere Vernunft, kaum daß die Sinnlichkeit das Ergötzen vorgelegt hat, wegen zeitlicher Gründe derartiges Ergötzen annimmt; und dann ist diese Zustimmung der niederen Vernunft angehörig. Hat aber der Mensch auch das göttliche Gesetz erwogen und bleibt trotzdem bei dieser Zustimmung, so gehört letztere bereits der höheren Vernunft an. IV. Die Auffassung der Einbildungskraft ist plötzlich und unüberlegt; und so kann sie eine Thätigkeit verursachen, bevor die höhere oder niedere Vernunft Zeit findet zur Überlegung. Das Urteil der niederen Vernunft aber ist mit Überlegung und bedarf der Zeit, wo auch die höhere überlegen kann; gelangt sie also durch das Überlegen nicht zur Vermeidung des sündlichen Aktes, so wird ihr die Sünde mit Recht angerechnet.
