Sechster Artikel. Die Sünde der nachlässigen Ergötzung (delectatio morosa) ist in der Vernunft.
a) Diese Sünde scheint im sinnlichen Begehren zu sein. Denn: I. Die Ergötzung schließt die Thätigkeit des sinnlichen Begehrvermögens ein, die von der Vernunft als einer Auffassungskraft jedenfalls verschieden ist. Also ist das nachlässige Ergötzen nicht in der Vernunft. II. Von den Gegenständen aus kann erkannt werden, zu welchem Vermögen eine Thätigkeit gehört, durch die das Vermögen zum Gegenstande hinbezogen wird. Das Ergötzen aber ist manchmal nachlässig, mit Rücksicht auf die sinnlichen Güter und nicht mit Rücksicht auf die der Vernunft. Also ist ein solches Ergötzen nicht in der Vernunft. III. „Nachlässig“ wird ein Ergötzen genannt wegen der Länge der Zeit, in der es nicht unterdrückt wird. Die Länge der Zeit aber ist kein Grund, daß etwas zu einem Vermögen gehört. Also deshalb kann solches Ergötzen nicht der Vernunft angehören. Auf der anderen Seite sagt Augustin (18. de Trin. 12.): „Die Zustimmung zum anlockenden Reize, wenn sie sich mit dem Gedanken allein an der Ergötzung begnügt, muß, wie ich erachte, so genommen werden wie die verbotene Frucht das Weib allein gegessen hat.“ Unter dem Weibe aber ist, wie er selbst da erklärt, die niedere Vernunft verstanden. Also ist solches Ergötzen in der Vernunft.
b) Ich antworte, die Sünde sei, wie gesagt, in der Vernunft, auch als der Leiterin für die menschlichen Handlungen. Sie leitet aber offenbar nicht allein die äußere Thätigkeit, sondern auch die inneren Leidenschaften. Wann also die Vernunft sich schwach erweist in der Leitung der innerlichen Leidenschaften, so ist eine Sünde in der Vernunft; ebenso wie dann, wann in ihrer Leitung der äußeren Thätigkeit ein Mangel ist. Es erweist sich aber die Vernunft schwach: einmal, wenn sie unerlaubte Leidenschaften befiehlt; wie wenn der Mensch den Zornausbruch oder die Begierde in sich veranlaßt; — dann, wenn sie nachlässig ist in dem Bekämpfen ungeregelter Bewegungen; wie z. B. jemand überlegt, eine aufstehende leidenschaftliche Bewegung sei ungeregelt und trotzdem vernachlässigt, sie zu unterdrücken. Und danach ist das nachlässige Ergötzen eine Sünde in der Vernunft.
c) 1. Das sinnliche Begehren ist das nächste Princip für das Ergötzen, in der Vernunft aber ist es als im ersten Princip; wie oben gesagt, daß Thätigkeiten, die nicht in den außen befindlichen Stoff übergehen, in ihren respektiven Principien als dem Subjekte oder als in ihrem Sitze sind. II. Die Vernunft hat die Leitung der Thätigkeit aller übrigen Kräfte, deren Gegenstände durch die Vernunft geregelt werden können; und danach gehört auch das Ergötzen an sinnlichen Gegenständen der Vernunft an. III. „Nachlässig“ wird ein solches Ergötzen genannt, weil die Vernunft, trotzdem sie überlegt hat, es nicht unterdrückt; sondern „festhält und es gern nach allen Seiten hin herumdreht, was allsobald, nachdem es den Geist berührt, hätte zurückgewiesen werden müssen.“ (Augüstin I. c.)
