Neunter Artikel. In der höheren Vernunft kann, soweit sie die niederen Kräfte leitet, auch eine läßliche Sünde sein.
a) In der höheren Vernunft scheint nur Todfünde sein zu können. Denn: I. Auguftinus (12 de Trin. 7.) sagt: „Die höhere Vernunft ist auf die ewigen Gründe gerichtet.“ Schwer sündigen aber heißt ebensoviel als sich abwenden vom ewigen Gesetze. Also kann in der höheren Vernunft nur Todsünde sein. II. Die höhere Vernunft ist im Leben des vernünftigen Geistes wie das Herz im Leben des Körpers, nämlich das erste Princip. Krankheiten aber, die das erste Princip betreffen, sind tödlich. III. Die läßliche Sünde wird eine schwere, wenn sie auf Grund von der Verachtung des göttlichen Gesetzes geschieht. Daß aber jemand aus Verachtung sündigt, scheint dasselbe zu sein, als wenn jemand mit voller Überlegung, wenn auch nur läßlich, sündigt. Da nun die Zustimmung der höheren Vernunft immer zusammen ist mit überlegter Erwägung des ewigen Gesetzes, so scheint überhaupt diese Zustimmung zu einer Sünde nicht ohne Todsünde sich vollziehen zu können. Auf der anderen Seite gehört die Zustimmung zum Akte einer Sünde der höheren Vernunft an. Die Zustimmung aber zu einer läßlichen Sünde ist läßliche Sünde. Also.
b) Ich antworte mit Augustin, die höhere Vernunft hänge an den ewigen Gründen oder Gesetzen, auf daß sie dieselben 1. betrachte und 2. um Rat frage. Sie betrachtet dieselben, insofern sie deren Wahrheit erforscht; sie fragt dieselben um Rat, je nachdem sie gemäß denselben Anderes beurteilt und regelt, also mit Rücksicht auf dieselben zustimmt einem Akte oder nicht. Nun trifft es sich leicht, daß die Regellosigkeit in einem Akte, dem sie zustimmt, nicht entgegen sei den ewigen Gesetzen in der Weise wie die Todsünde, die nur zugleich mit dem Abwenden vom letzten Endzwecke besteht; sondern daß diese Regellosigkeit außerhalb der ewigen Gesetze ist, weil eben die läßliche Sünde ihrer Natur nach etwas Unvollkommenes ist im Bereiche der Sünde. Wenn also die höhere Vernunft zustimmt zum Akte einer läßlichen Sünde, wendet sie sich damit nicht ab von den ewigen Seinsgründen; also ist die Sünde keine Todsünde,
c) I. Ist damit beantwortet. II. Doppelt ist die Krankheit des Herzens: die eine ist in der Substanz selber des Herzens, sie verändert die natürliche Komplexion desselben; und solche Krankheit ist immer tödlich; — die andere beruht auf einer Unordnung entweder in seiner Bewegung oder in etwas von dem, was um das Herz herum ist; und solche Krankheit ist nicht immer tödlich. Wird also ähnlich die Beziehung selber der höheren Vernunft zum eigensten Gegenstande, nämlich zu den ewigen Gesetzen hinweggenommen, so ist da eine Todsünde. Ist aber die Unordnung nur um diese Beziehung herum in Nebendingen, so besteht eine läßliche Sünde. III. Die überlegte Zustimmung zu einer Sünde schließt nicht immer die Verachtung des göttlichen Gesetzes ein; sondern dies ist nur dann der Fall, wenn die Sünde dem göttlichen Gesetze gegenübersteht.
