Zweiter Artikel. Der Stolz ist der Anfang aller Sünde.
a) Das scheint zu sein: I. Gegen den obigen Text bei Paulus. Denn Wurzel und Anfang bedeutet wohl das Gleiche. II. Gegen Ekkli. 10.: „Der Anfang des menschlichen Hochmutes ist das Abfallen von Gott;“ was eine besondere Sünde ist. III. Gegen Augustin (14. de civ. Dei ult.), der die ungeregelte Selbstliebe als den Baumeister des Babels der Sünde bezeichnet. Auf der anderen Seite steht Ekkli. 10, 15.: „Der Anfang aller Sünde ist der Stolz.“
b) Ich antworte, nach einigen werde der Stolz in dreifacher Weise ausgesagt: 1) als ungeregelte Begierde nach Auszeichnung der eigenen Person; und so sei er eine besondere Sünde; — 2. als eine thatsächliche Verachtung Gottes, dessen Gebot man geringschätzt; und so sei er gemein allen Sünden; — 3) und als Hinneigung zu dieser Verachtung auf Grund der verdorbenen Natur; und so sei er der Anfang aller Sünde. Und danach ist der Stolz verschieden von der Geldgier; denn diese ist die Wurzel aller Sünde von seiten der Zuwendung zu einem vergänglichen Gute, von dem aus die Sünde genährt und gepflegt wird, was der „Wurzel“ zukommt; — der Stolz aber ist der Anfang der Sünde von seiten der Abwendung von Gott, dessen Gebote sich zu unterwerfen der Mensch vernachlässigt; und deshalb heißt er Anfang aller Sünde, weil von der Abwendung aus die Natur des Übels beginnt. Dies Alles ist wohl wahr; entspricht jedoch nicht der Absicht des heiligen Geistes, der da sagt: „Der Anfang jeder Sünde ist der Stolz.“ Denn offenbar ist hier die Rede vom Stolze als einer besonderen Sünde, die da ist das ungeregelte Begehren nach Auszeichnung der eigenen Person; wie aus dem Folgenden hervorgeht: „Die Sitze der hochmütigen Anführer hat Gott zerstört;“ und in diesem Sinne wird im ganzen Kapitel gesprochen. Offenbar also ist der Stolz als solcher der Anfang der Sünde. Denn man muß erwägen, daß bei der Sünde unterschieden werden muß die Absicht von der Ausführung. Die Absicht nämlich und was ihr folgt richtet sich zuerst auf das Princip als den Zweck. Der Zweck aber für den Erwerb zeitlicher Güter ist der, daß der Mensch dadurch eine besondere hervorragende Stellung erhält. Von dieser Seite also her ist der Stolz als besondere Sünde der Anfang für alle Sünden. Bei der Ausführung aber ist das Erste das Geld, welches ja die Mittel gewährt, um den Zweck wirklich zu erreichen,
c) I. Ist beantwortet. II. „Abfallen von Gott,“ Apostasie, ist der Anfang der Sünde von seiten der Abwendung her. Denn weil der Mensch nicht sich Gott unterwerfen will, folgt er der Begier nach veränderlichen Gütern; und so ist da „Abfall von Gott“ keine besondere Sünde, sondern etwas Gemeinschaftliches für jede Sünde. Oder „Abfallen von Gott“ wird gesetzt als erste Untergattung des Stolzes, dem es zukommt, zu allererst Gott nicht unterworfen sein zu wollen; und auf Grund dessen will dann der Stolze über sich selbst in ungeregelter Weise erhoben werden gemäß den anderen Gattungen von Stolz. III. Darin liebt eben der Mensch sich selbst, daß er seine eigene Auszeichnung will; denn „sich lieben“ heißt „sich selber Gutes wollen“. Also ist es dasselbe, als Anfang der Sünde zu setzen den Stolz oder die ungeregelte Selbstliebe.
