Dritter Artikel. Schwäche, Unkenntnis. Bosheit, Begierlichkeit sind die Wunden der Natur.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Jene vier Dinge werden als Ursachen der Sünden bezeichnet; vgl. Kap. 76, Art. 1 etc. Nicht dasselbe aber ist Ursache zugleich und Wirkung der Sünde. II. „Bosheit“ ist eine specielle Sünde; also nicht im allgemeinen eine Wirkung der Sünde. III. Die „Begierlichkeit“ ist etwas der Natur selbst Zukommendes; also keine Wunde der Natur. IV. Das Nämliche ist es: Sündigen aus Schwäche und sündigen aus Leidenschaft. Die Begierlichkeit aber ist eine Leidenschaft. Also kann sie nicht neben der Schwäche als Wunde bezeichnet werden. V. Augustin (de nat. et grat. 67.) verzeichnet zwei Strafen der sündigen Seele: Die Unkenntnis und die Schwierigkeit; — von denen ausgeht der Irrtum und die Qual. Das stimmt aber nicht mit den oben erwähnten. Auf der anderen Seite steht die Autorität Bedas.
b) Ich antworte; durch die Urgerechtigkeit hielt die Vernunft unter sich vollkommen zusammen die niederen Kräfte, und die Vernunft wurde ihrerseits von Gott als Ihm Unterthan vollendet. Diese Urgerechtigkeit aber ward von der Sünde fortgenommen; und so blieben die niederen Kräfte aus ihrer geordneten Thätigkeit herausgebracht, wodurch sie von Natur Beziehung hatten zur Tugend. Nun sind vier Seelenvermögen geeignet, Sitz oder Subjekt von Tugenden zu sein: die Vernunft, als Sitz der Klugheit; der Wille, als Sitz der Gerechtigkeit; die Abwehrkraft, als Sitz der Stärke; die Begehrkraft, als Sitz der Mäßigkeit. Insoweit also die Vernunft ihrer natürlich geordneten Beziehung zum Wahren ermangelt, besteht die Unkenntnis. Insoweit der Wille seiner geregelten Beziehung zum Guten ermangelt, ist die Wunde der Bosheit da. Insoweit die Abwehrkraft ihrer geordneten Beziehung zum Schwierigen ermangelt, haben wir die Wundeder Schwäche. Und mit Rücksicht auf die Begehrkraft und das ihr zukömmliche Ergötzliche besteht die Wunde der Begierlichkeit. Diese Wunden nun fließen aus der ersten Sünde für das ganze menschliche Geschlecht. Da aber die Hinneigung zum Guten der Tugend in einem jeden vermindert wird durch die persönliche aktuelle Sünde, so folgen diese Wunden auch aus einer jeden dieser letzteren Sünden. Die Vernunft wird stumpf für das Wirken, der Wille hart für das Gute, die Schwierigkeit der guten That wächst, die Begierlichkeit entbrennt mehr und mehr.
c) I. Was die Wirkung der einen Sünde ist, kann die Ursache der anderen sein. II. „Bosheit“ ist hier nicht gesetzt als Sünde, sondern als Bereitwilligkeit des Willens für das Übel, nach Gen. 8, 21. III. Die Begierlichkeit ist der Natur entsprechend, soweit sie der Vernunft Unterthan ist. IV. Beda nimmt hier die Begierlichkeit im engeren Sinne als Gegensatz zur Schwäche, welche in der Abwehrkraft ist. V. Die „Schwierigkeit“ bei Augustin umfaßt diese drei Wunden: die Bosheit, die Schwäche und die Begierlichkeit, die alle drei von den begehrenden Vermögen ausgehen; denn von diesen drei Wunden kommt es, daß jemand nicht mit Leichtigkeit der Tugend nachstrebt. „Irrtum“ und „Schmerz“ sind Wunden, die aus den vier genannten folgen. L.
