Vierter Artikel. Die Sünde beraubt des gebührenden Maßhaltens, der Schönheit und der Ordnung.
a) Diese Wirkung kommt der Sünde nicht zu. Denn: I. Augustin sagt (de nat. boni 3.): „Wo diese drei in hohem Grade vorhanden sind, da ist ein großes Gut; wo sie in geringem Grade bestehen, da ist ein geringes Gut; wo sie gar nicht sind, da ist gar kein Gut.“ Die Sünde aber nimmt niemals das ganze Gute der Natur hinweg. II. Nichts ist die Ursache seiner selbst. Die Sünde aber ist der Mangel an Maß, Schönheit und Ordnung. Also ist dieser Mangel keine Wirkung der Sünde. III. Verschiedene Sünden haben verschiedene Wirkungen. Maß, Schönheit und Ordnung aber sind verschiedene Dinge. Also beraubt nicht ein und dieselbe Sünde immer dieser drei Dinge. Auf der anderen Seite ist die Sünde in der Seele wie die Schwäche im Körper, nach Ps. 6.: „Erbarme Dich meiner, o Herr, denn ich bin überaus schwach.“ Die Schwäche aber bewirkt, daß der Körper des richtigen Gleichgewichts in den Säften, also des Maßes, der Schönheit, der Ordnung entbehrt. Somit thut dies auch die Sünde.
b) Ich antworte, Maß, Schönheit und Ordnung begleiten jedes geschaffene Gut, sowie jedes geschaffene Sein. Denn jedes Sein und jedes Gut werden erwogen gemäß einer gewissen Wesensform; wonach nämlich die Schönheit bemessen wird. Und jede dieser Formen, sei es eine substantiale oder sei es eine zur Substanz hinzutretende, richtet sich nach einem gewissen Maße, denn „die Formen der Dinge sind wie die Zahlen,“ nach 8 Metaph. Ebenso endlich wird infolge seiner Form etwas zum Anderen in geordnete Beziehung gesetzt. Gemäß den verschiedenen Graden des Guten sind sonach verschiedene Grade in Maß, Schönheit und Ordnung. Maß, Schönheit und Ordnung also, soweit dies Alles der Substanz oder der Natur im Dinge selber zukommt, wird von der Sünde weder fortgenommen noch verringert. Maß, Schönheit und Ordnung aber, soweit dies der natürlichen Hinneigung zur Tugend entspricht, wird vermindert durch die Sünde. Soweit es aber in der Gnade und in der Tugend selber gefunden wird, entfernt es sich durchaus infolge der Todsünde. Nun besteht auch ein Gut, welches der geregelte Akt selber ist; und auch dieses Gute hat Maß, Schönheit und Ordnung. Dessen Mangel nun im Akte selber ist wesentlich die Sünde.
c) Ist damit beantwortet; denn mit Bezug auf III. folgen und begleiten sich gegenseitig Maß, Schönheit und Ordnung.
