Vierter Artikel. Die läßliche Sünde wird nie Todsünde.
a) Dies scheint trotzdem der Fall zu sein. Denn: I. Zu Joh. 3. (Qui incredulus est tract. 12.) sagt Augustin: „Wenn kleine Sünden vernachlässigt werden, töten sie.“ II. Die Bewegung der Sinnlichkeit vor der Zustimmung der Vernunft ist läßliche, nach derselben schwere Sünde. Also wird da die läßliche Sünde zur schweren. III. Wie eine heilbare und eine unheilbare Krankheit unterscheiden sich Tod- und läßliche Sünde. Eine heilbare Krankheit wird aber zuweilen zu einer unheilbaren. IV. Die Vorbereitung kann zum Zustande werden. Die läßliche Sünde aber ist die Vorbereitung zur Todsünde. Also wird sie zuweilen Todsünde. Auf der anderen Seite kann, was unendlich weit voneinander entfernt ist, nicht ineinander wechselseitig übergehen. Unendlich weit entfernt aber ist entfernt die Tod- von der läßlichen Sünde. (Vgl. oben.)
b) Ich antworte, es sei hier ein dreifaches Verständnis möglich: 1. daß der eine nämliche, Akt, der vorher läßliche Sünde war, nun Todsünde werde; und das ist unmöglich. Denn die Sünde besteht hauptsächlich im Willensakte wie jeder moralische Akt. Es ist aber nicht ein und derselbe Willensakt, wenn der Wille sich ändert, mag auch die natürliche Substanz des Aktes fortbestehen; ändert sich aber der Wille nicht, so bleibt es der nämliche Akt des Willens und es wird aus der läßlichen Sünde keine Todsünde. Es kann 2. so verstanden werden, daß das, was seiner „Art“ nach läßliche Sünde ist, Todsünde werde; und dies ist möglich, insoweit man darein den letzten Endzweck setzt. Das dritte Verständnis besteht darin, daß viele läßliche Sünden zusammen eine Todsünde ausmachen. Das ist aber nicht so aufzufassen, als ob viele einzelne läßliche Sünden, ohne weiteres zusammengefügt, eine Todsünde bilden könnten; denn nicht alle läßlichen Sünden der Welt haben so viel zusammen an Schuld wie eine einzige Todsunde. Das geht schon aus der Dauer dessen hervor, was von der beiderseitigen Schuld verdient wird. Denn die Todsünde verdient ewige Strafe, die läßliche nur zeitliche Strafe. Ebenso ergiebt sich das Nämliche aus der Strafe des Verlustes. Denn die Todsünde verdient die Entbehrung der Anschauung Gottes, die schwerste unter allen denkbaren Strafen. (Chrysost. 24. hom. in Matth.) Endlich führt zum selben Ergebnisse die Strafe der fühlbaren Pein, soweit es auf die Gewissensbisse ankommt, wenn auch vielleicht mit Rücksicht auf die Strafe des Feuers die Strafen zu einander im Verhältnisse stehen. Wird aber die Sache so verstanden, daß viele läßliche Sünden vorbereiten zur Todsünde, so kann nach den beiden Art. 3 auseinandergesetzten Weisen aus der läßlichen Sünde eine Todsünde werden.
c) I. Augustin spricht im letztgenannten Sinne. II. Jene selbe Bewegung der Sinnlichkeit, welche der Zustimmung voraufgeht, wird nie Todsünde; eine solche ist die zustimmende Thätigkeit der Vernunft selber. III. Die körperliche Krankheit ist keine Thätigkeit, sondern eine andauernde Verfassung oder Vorbereitung im Körper. Sie kann also die nämliche bleiben und doch sich ändern. Die läßliche Sünde aber ist ein vorübergehender Akt, der nicht festzuhalten oder zurückzuholen ist. IV. Die Vorbereitung, welche Zustand wird, ist wie etwas Unvollkommenes in der einen nämlichen Seinsgattung; wie wenn die unvollkommene Wissenschaft, sobald sie vollendet wird, ein fester Zustand wird. Die läßliche Sünde aber ist eine Vorbereitung von anderer Art; wie eine bloße Eigenschaft, z. B. die Wärme, vorbereitet zur substantialen Wesensform, nie aber diese Wesenssorm wird.
