Fünfter Artikel. Auch kein Umstand kann aus der läßlichen eine Todsünde machen.
a) Das Gegenteil wird dargethan: I. Augustin (de purgatorio) sagt: „Wenn der Zorn lange anhält und die Trunkenheit eine beständige ist, gehen diese Sünden in die Zahl der Todsünden über.“ Von ihrer „Art“ aus aber sind der Zorn und die Trunkenheit keine Todsünden; sonst würden sie es immer sein. Also der Umstand der Zeit macht hier aus der läßlichen eine Todsünde. II. Petrus Lombardus (24. Sent. lib. II.) sagt: „Ist das Ergötzen andauernd, so ist es Todsünde; ist dies nicht der Fall, so wird es nur als läßliche Sünde betrachtet.“ Also. III. „Gut“ und „schlecht“ unterscheiden sich mehr voneinander wie Tod- und läßliche Sünde. Der Umstand aber kann aus einem guten Akte einen schlechten machen, wie wenn jemand aus Eitelkeit Almosen giebt. Also mit noch mehr Recht kann ein Umstand aus der läßlichen eine Todsünde machen. Auf der anderen Seite ist der Umstand für den moralischen Akt wie eine hinzutretende Eigenschaft, ein accidens. Eine solche Eigenschaft aber kann nie den Umfang des Aktes ändern, welchen dieser von seiner „Art“ her besitzt; denn immer steht das Subjekt oder die Substanz voran der Eigenschaft, die zu ihm hinzutritt. Ist also eine Sünde ihrer „Art“ nach eine läßliche, so kann sie durch den hinzutretenden Umstand nie eine Todsünde werden.
b) Ich antworte, der Umstand als Eigenschaft oder accidens des moralischen Aktes könne manchmal genommen werden als ein den Wesensunterschied begründendes Merkmal; und dann verliert er den Charakter eines Umstandes und bildet das Gattungswesen des moralischen Aktes. Dies geschieht nun, wenn ein solcher Umstand zum Akte hinzufügt eine Regellosigkeit einer anderen eigenen „Art“. So ist, wenn jemand Unkeuschheit treibt mit einer Person, die nicht seine Frau ist, dies einfach Unkeuschheit; ist diese Person aber die Frau eines anderen, so wird durch den neuen Umstand eine besondere Mißgestalt oder Unordnung hinzugefügt, nämlich die der Ungerechtigkeit; und so ist eine andere Gattung Sünde, die des Ehebruches, begründet. Bringt also der zur läßlichen Sünde hinzutretende Umstand keine neue Mißgestaltung oder Regellosigkeit hinzu, so kann ein solcher unmöglich aus der läßlichen Sünde eine Todsünde machen. Denn die Unordnung der läßlichen Sünde nimmt Rücksicht auf das Zweckdienliche allein; und die Unordnung in der Todsünde geht direkt auf den letzten Endzweck. So lange also der Umstand einfach Umstand bleibt, kann er nicht aus der läßlichen eine Todsünde machen; sondern nur wenn er die Sünde in eine andere Gattung hinüberleitet und so ein das moralische Wesen des Aktes begründender Unterschied wird.
c) I. Die Zeitdauer ist kein Umstand, der einen moralischen Akt in eine andere Gattung hineinzieht; und ähnlich auch nicht die öftere Wiederholung, wenn nicht etwas Anderes noch hinzutritt. Denn nichts erlangt dadurch eine neue Gattung, daß es lange dauert oder vervielfacht wird außer wenn etwa noch Ungehorsam hinzukommt oder Verachtung oder dgl., wodurch der Akt zu einer neuen Gattung hin bestimmt wird. Wenn also der Zorn, kraft dessen man ja dem Nächsten schaden will, auf einen Schaden sich richtet, der so groß ist, daß er eine Todsünde der „Art“ nach herstellt, so ist ein derartiger Zorn der „Art“ nach eine Todsünde; und daß er etwa läßliche Sünde ist im einzelnen Falle, das kommt dann aus dem Mangel an Vollendung im Akte selber, wenn er z. B. eine plötzliche Regung der Sinnlichkeit nur ist. Dauert er dann längere Zeit, so kehrt er zur Natur seiner „Art“ zurück vermittelst der Zustimmung der Vernunft, und ist Todsünde. Erscheint aber der beabsichtigte Schaden klein, wie z. B. wenn jemand dem anderen ein leichtes Wort sagt, das diesen betrübt, so ist der Zorn der „Art“ nach eine läßliche Sünde; und er mag dauern, so lange er will, er wird keine Todsünde sein; es müßte denn ein schweres Ärgernis oder dergleichen Äußerliches hinzutreten. Die Trunkenheit ist ihrer ganzen „Art“ nach wesentlich Todsünde. Denn daß jemand ohne Notwendigkeit sich unfähig macht, die Vernunft zu gebrauchen, durch welche er zu Gott hingeordnet ist und kraft deren er deshalb viele Sünden vermeidet, bloß damit er am Weine sich ergötze; das ist ausdrücklich der Tugend entgegengesetzt. Daß aber die Trunkenheit läßliche Sünde ist, das kommt von einer gewissen Unkenntnis oder Schwäche, wie wenn der Mensch die Kraft des Weines und die eigene Gebrechlichkeit nicht weiß und sonach nicht gesonnen ist, sich zu betrinken; — denn dann wird ihm nicht die Trunkenheit als solche angerechnet, sondern der Überfluß im Weingenusse. Wird er aber häufig trunken, so kann er mit einer solchen Unkenntnis nicht entschuldigt werden; und dann scheint es, aus freier Wahl ziehe er vor die Trunkenheit dem Enthalten von übermäßigem Weingenusse; was Todsünde ist. II. Die andauernde Ergötzung ist nur Todsünde in den Dingen, die bereits an sich von ihrer „Art“ aus Todsünden sind. Ist da die Ergötzung eine läßliche Sünde, so kommt es von der mangelhaften Vollendung des Aktes, wie eben beim Zorne gesagt worden. Denn ist diese Ergötzung eine andauernde und währt der Zorn lange, so tritt eben die volle Überlegung und Zustimmung der Vernunft hinzu. III. Im genannten Falle stellt der Umstand als wesentlicher Unterscheidungsgrund die Gattung her.
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