Dritter Artikel. Das menschliche Gesetz richtet sich auf die Thätigkeiten aller Tugenden.
a) Das Gegenteil wird klar gemacht. Denn: I. Das menschliche Gesetz verbietet nicht alle Laster; also schreibt es nicht alle Tugenden vor. II. Der Tugendakt geht von der Tugend aus. Die Tugend aber ist der Zweck des Gesetzes; und so kann, was von der Tugend herrührt, nicht unter die Vorschrift des Gesetzes fallen. III. Das menschliche Gesetz richtet sich auf das Gemeinbeste. Dazu aber tragen so manche Tugendakte nichts bei, die nur den Privatvorteil besorgen. Also. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (5 Ethic. 1.): „Das Gesetz schreibt vor, die Werke des Starken zu thun und des Mäßigen und des Sanftmütigen; und ähnlich verhält es sich zu den anderen Tugenden und Bosheiten; jene befehlend, diese verbietend.“
b) Ich antworte, die Gattungen der Tugenden werden unterschieden gemäß den Gegenständen. Alle Gegenstände der Tugenden aber können bezogen werden auf den Privatvorteil einer Person oder auf das Gemeinbeste; wie jemand die Werke der Stärke thun kann auf Grund der Rettung des Staates oder für einen Freund. Das Gesetz nun hat Beziehung zum Gemeinbesten. Also keine Tugend besteht, über deren Thätigkeit ein Gesetz nicht Vorschriften geben könnte. Freilich schreibt es nicht alle Akte aller Tugenden vor; jedoch jene, welche entweder unmittelbar Beziehung haben zum Gemeinbesten, wie wenn jemand etwas thut direkt wegen des allgemeinen Besten, oder welche mittelbar diese Beziehung haben, wie wenn der Gesetzgeber Verordnungen macht, die zum guten Unterricht gehören, wodurch die Bürger veranlaßt werden, daß sie das Gut des Friedens bewahren.
c) I. Das Gesetz verbietet nicht alle lasterhaften Akte gemäß strenger Verpflichtung; und es schreibt nicht alle tugendhaften Akte vor. Es verbietet aber gewisse Akte der einzelnen Laster und es schreibt vor gewisse Akte der einzelnen Tugenden. II. Das Tugendhafte, was die Tugend wirkt, wie z. B. Starkes zu thun, Gerechtes zu thun; das schreibt bei gewissen Akten das Gesetz vor. Aber es schreibt nicht vor, daß dies in tugendhafter Weise geschehen soll. So jedoch, in letzterer Weise, geht das Tugendhafte von der Tugend aus; und dies fällt nicht unter die Vorschrift des Gesetzes, sondern ist der Zweck, den der Gesetzgeber beabsichtigt. III. Es giebt keine Tugend, deren Thätigkeit nicht dem allgemeinen Besten dienen kann entweder mittelbar oder unmittelbar.
