Vierter Artikel. Das menschliche Gesetz verpflichtet im Gewissen.
a) Dem steht entgegen: I. Die niedrigere Gewalt kann nicht verpflichten im Bereiche der höheren. Das menschliche Gesetz also kann keine Verpflichtung auflegen dem Gewissen, dessen Urteil das der göttlichen Macht ist. II. Das Urteil des Gewissens hängt in erster Linie von den Geboten Gottes ab. Oft aber werden diese durch die menschlichen Geietze verachtet, nach Matth. 15.: „Eitel gemacht habt ihr das Gebot Gottes wegen euerer Überlieferungen.“ Also kann das menschliche Gesetz nicht im Gewissen verpflichten. III. Die menschlichen Gesetze thun oft Gewalt an und Unrecht den Menschen, nach Isaias 10.: „Wehe denen, die ungerechte Gesetze machen und, da sie schrieben, Ungerechtigkeit schrieben, daß sie vor Gericht die Armen unterdrücken und Gewalt anthun der Sache der Armen meines Volkes.“ Ein jeder kann sich aber mit Recht davor hüten, daß man ihm Gewalt anthue oder Unrecht. Also. Auf der anderen Seite sagt Petrus (1, 2.): „Das ist Gnade, wenn jemand auf Grund seines Gewissens aushält, ungerechterweise Trübsal leidend.“
b) Ich antworte, die menschlichen Gesetze seien entweder gerecht oder ungerecht. Im ersten Falle haben sie vom ewigen Gesetze her die Kraft, im Gewissen zu verpflichten, nach Prov. 8.: „Durch mich herrschen die Könige und entscheiden Rechtes die Gründer der Gesetze.“ Gerecht aber sind die Gesetze 1. vom Zwecke aus, wenn sie auf das Gemeinbeste sich richten; — 2. vom Urheber her, wenn sie von dem ausgehen, der rechtmäßige Gewalt hat und die Grenzen seiner Gewalt nicht überschreitet; — 3. von ihrer inneren Form aus, wenn sie nach rechtmäßigem, gleichem Verhältnisse den Unterthanen Lasten auflegen für das allgemeine Beste. Denn da jeder Mensch ein Glied der Menge ist und sonach das, was er ist und hat, dem Ganzen schuldet, so werden ihm, wenn das richtige Verhältnis zu den anderen eingehalten erscheint, mit Recht Lasten aufgelegt zu Gunsten des Ganzen; duldet ja auch die Natur, daß ein Glied Nachteil erleidet, damit das Ganze heil sei. Ungerecht sind die Gesetze also: 1. vom Zwecke aus, wenn jemand, nicht für das gemeine Beste, sondern zur Befriedigung seiner Geld- oder Ruhmgier Gesetze macht; — 2. vom Urheber aus; wenn jemand über seine Gewalt hinaus Gesetze aufstellt; — 3. von der Form aus, wenn in der Verteilung der Lasten nicht das gebührende Verhältnis gewahrt wird. Dergleichen sind mehr Gewaltthaten wie Gesetze; denn, sagt Augustin, „es ist kein Gesetz jenes, das nicht gerecht ist.“ Solche Gesetze also verpflichten nicht im Gewissen außer etwa, damit man Ärgernis vermeide oder Verwirrung; weshalb ja der Mensch auch bisweilen sein Recht aufgeben muß, nach Matth. 5.: „Wer dir das Kleid genommen hat, gieb ihm auch den Mantel.“ Sind aber die Gesetze ungerecht, weil sie dem göttlichen Gute entgegengesetzt sind und gegen Gottes ausdrückliches Gebot befehlen, so darf man sie nicht beobachten, sondern „man muß Gott mehr gehorchen wie den Menschen.“ (Act. 4.)
c) I. „Alle Gewalt ist von Gott,“ nach Röm. 13., „wer also der Gewalt widersteht, der widerstreitet der Anordnung Gottes;“ und somit wird er schuldig vor seinem Gewissen. II. Menschliche Gesetze gegen Gottes ausdrückliches Gebot dürfen nicht beobachtet werden. III. Ein Gesetz, welches schweres Unrecht thut den Untergebenen, bindet nicht; denn darauf erstreckt sich nicht die von Gott verliehene Gewalt; — es sei denn daß Ärgernis mit dem Ungehorsam verbunden wäre; s. oben.
