Fünfter Artikel. Alle sind dem Gesetze unterworfen.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. „Dem Gerechten ist kein Gesetz,“ sagt Paulus 1. Tim. 1. Also ist der Gerechte menschlichen Gesetzen nicht unterworfen. II. Urban II. sagt (decret. caus. 19. qu. 2.): „Wer durch ein Privatgesetz geleitet wird, der kann gemäß keinem Grunde an ein öffentliches gebunden sein.“ Die geistigen Männer aber werden durch den heiligen Geist geleitet. (Röm, 8, 14.) III. Ulpianus sagt: „Der Fürst ist gelöst vom Gesetze.“ Auf der anderen Seite „soll jede Seele höheren Gewalten unterthan sein,“ nach Röm. 13.; also ist jeder Mensch dem Gesetze Unterthan, das die höhere Gewalt aufstellt.
b) Ich antworte, das Gesetz ist 1. die Regel menschlicher Wirksamkeit und hat 2. zwingende Gewalt. In der ersten Weise ist jeder, der einer Gewalt Unterthan ist, auch dem von dieser Gewalt ausgehenden Gesetze Unterthan. Einer Gewalt aber ist
a) jener nicht Unterthan, der schlechthin außerhalb derselben ist, wie jener, der nicht in einem Staate als Glied sich findet, von dessen Gewalt gelöst erscheint; —
b) der von einem höheren Gesetze geregelt wird, wie z. B. jemand in jenen Sachen dem Minister nicht unterworfen ist, in welchen er seine Befehle direkt vom Könige empfängt. Dann ist 2. jemand unter einem Gesetze, wie der Bezwungene unter dem Bezwingenden; und so sind die Guten nicht unter dem Gesetze, sondern die Bösen. Denn der Wille der Guten stimmt überein mit dem Gesetze; und somit ist dieses für sie kein Zwang.
c) I. Dies betrifft die zwangsweise Unterwerfung. Denn so „ist den Gerechten kein Gesetz gegeben,“ weil „sie sich selber Gesetz sind.“ Röm. 2. II. Das Gesetz des heiligen Geistes ist höher als alles menschliche Gesetz. Soweit also geistige Männer vom heiligen Geiste geleitet werden, sind sie nicht unter dem menschlichen Gesetze, inwieweit dieses widerstreitet der Führung des heiligen Geistes. Dies aber selber kommt vom heiligen Geiste, daß solche Männer den Gesetzen gehorchen, nach 1. Petr. 2.: „Seid unterworfen aller menschlichen Kreatur um Gottes willen.“ III. Der Fürst unterliegt nicht dem Zwange, der vom Gesetze aus geht; denn niemand zwingt im eigentlichen Sinne sich selber. Fehlt der Fürst gegen das Gesetz, so kann ihn eben niemand verurteilen, da er selber die Quelle für die Ausführung der zwingenden Gewalt im Gesetze ist. Deshalb sagt die Glosse (Cassiodor.) zu Ps. 50. Tibi soli: „Der König hat keinen Menschen, der seine Thaten beurteilt.“ Insoweit jedoch das Gesetz Regel ist, unterliegt ihm der Fürst aus eigenem Willen gemäß dem Grundsatze: „Welches Recht jemand dem anderen gegenüber aufstellt, dessen soll er sich selber bedienen (extra de Constitut. c. Cum omnes) … Und die Autorität des Weisen sagt (Cato in rudim.): Trage das Gesetz, das du selbst gemacht.“ Ebenso (lib. 4. de leg. et constitut.) schreiben Theodosius und Valentinianus an den Präfekten Volusianus: „Der Majestät des Herrschenden ist würdig das Wort, gebunden solle sich der Fürst bekennen an die Gesetze; von der Autorität des Rechtes hängt ab unsere Autorität. Und etwas Größeres ist es als die kaiserliche Herrschaft, den Gesetzen zu unterwerfen die fürstliche Würde.“ Auch der Herr macht einen Vorwurf denen, „die da sprechen und nichts thun,“ und welche „anderen Lasten auflegen, welche sie mit keinem Finger berühren wollen“ (Matth. 23.); vor Gott also ist der Fürst gebunden, wenn auch freiwillig, an die regelnde Gewalt des Gesetzes. In dem Sinne ist dann der Herrscher noch über dem Gesetze, als er dasselbe, wenn dies nützlich erscheint, verändern kann, oder für Zeit und Ort davon dispensieren.
