Vierter Artikel. Die zehn Gebote werden zukömmlicherweise voneinander unterschieden.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Die Gottesverehrung ist eine andere Tugend wie der Glaube. Die Gebote aber richten sich auf die Tugendakte. Dieses nun: „Du sollst nicht fremde Götter haben neben mir“ gehört zum Glauben; das andere aber: „Du sollst dir kein geschnitztes Bild machen“ gehört zur Gottesverehrung. Also sind da zwei Gebote und nicht eines; nach Augustin qu. 71. in Exod. II. Die affirmativen Gebote werden sonst unterschieden von den negativen; wie: „Du sollst Vater und Mutter ehren“ von: „du sollst nicht töten.“ Im ersten Gebote aber ist dies affirmativ: „Ich bin der Herr dein Gott;“ und was folgt, ist negativ: „Du sollst nicht fremde Götter haben neben mir“ ist negativ. Also sollten dies zwei Gebote sein. III. Röm. 7. sagt Paulus: „Die Begierlichkeit wußte ich nicht, wenn nicht das Gesetz sagte: „Du sollst nicht begehren.“ Also scheint dies ein Gebot zu sein und hätte nicht geteilt werden sollen in zwei. Auf der anderen Seite steht die Autorität Augustins (Glosse zu Exod.), der drei Gebote annimmt, die sich auf Gott beziehen, und sieben, die auf den Nächsten gerichtet sind.
b) Ich antworte, die zehn Gebote werden von verschiedenen Autoren in verschiedener Weise unterschieden. Hesychius (Ievit. 26; lib. 7. comm. c. 26.) sagt, das dritte Gebot gehöre nicht zu den zehn Geboten, denn es könne nach dem Wortlaute nicht zu jeder Zeit beobachtet werden. Er unterscheidet trotzdem vier Gebote, die sich auf Gott beziehen. Das erste wäre: Ich bin der Herr, dein Gott; das zweite: Du sollst keine fremden Götter neben mir haben. Und so macht auch Hieronymus zu Ose 10. (propter 2. inquit.) aus dem ersten zwei Gebote. Das dritte wäre: Du sollst dir kein geschnitztes Bild machen. Das vierte: Du sollst den Namen Gottes nicht unnütz führen. Mit Bezug auf den Nächsten hat er dann sechs: 1. Ehre Vater und Mutter; 2. du sollst nicht töten; 3. du sollst nicht ehebrechen; 4. du sollst nicht stehlen; 5. du sollst kein falsches Zeugnis geben; 6. du sollst nicht begehren. Jedoch erscheint es zuvörderst unzulässig, daß das Gebot der Sabbathsruhe unter die zehn Gebote gesetzt ist, wenn es in keiner Weise dazu gehört. Dann scheint nach Matth. 6.: „Niemand kann zwei Herren dienen“ unter das nämliche Gebot zu fallen: Ich bin der Herr, dein Gott und: Du sollst nicht fremde Götter haben neben mir. Origenes (hom. 8. in Exod.) also, der auch vier auf Gott bezügliche Gebote angiebt, faßt diese beiden letzten zusammen. Er stellt aber als das zweite auf: „Du sollst dir kein geschnitztes Bild machen;“ als drittes: „Du sollst den Namen Gottes nicht unnütz führen;“ als viertes: „Gedenke, daß du den Sabbath heiligest.“ Weil aber es nur deshalb verboten ist, sich geschnitzte Bilder zu machen, damit diese nicht als Gott verehrt würden (denn für das Allerheiligste hat Gott geboten, daß Seraphim da abgebildet werden), faßt in zulässigerer Weise Augustin (I. c.) diese zwei Gebote zusammen in einem: „Du sollst nicht fremde Götter anbeten“ und: „Du sollst dir kein geschnitztes Bild machen.“ Ähnlich gehört das Begehren nach der Frau eines anderen zur Begierlichkeit des Fleisches; das Begehren aber nach dem Besitze eines anderen zur Begierlichkeit der Augen. Und danach unterscheidet Augustin zwei verschiedene Gebote; und hat somit drei, die sich auf Gott beziehen, und sieben, die auf den Nächsten gerichtet sind.
c) I. Die Gottesverehrung oder latria ist nur ein gewisses Bekenntnis des Glaubens. Also ist da kein Unterschied für die Gebote begründet. Oder vielmehr es brauchten nur Gebote betreffs der Gottesverehrung gegeben zu werden; denn das Gebot des Glaubens wie das der Liebe haben die zehn Gebote zur Voraussetzung. „Glauben an Gott“ nämlich ist durch und an sich für jenen das erste und allgemeinste Moralprincip, der Glauben hat; wie Paulus sagt: „Der Gott sich nähert, muß glauben, daß Gott ist“ Hebr. 11. Also bedarf dieses Gebot keiner anderen Offenbarmachung, wie der Eingießung des Glaubens. II. Die affirmativen Gebote unterscheiden sich von den negativen, wenn das eine nicht im anderen eingeschlossen ist; wie in der den Eltern schuldigen Verehrung nicht eingeschlossen ist, man solle nicht töten. Ist aber das affirmative im negativen Gebote eingeschlossen, so werden keine verschiedenen Gebote gegeben, wie keine verschiedenen Gebote es sind: „Du sollst nicht stehlen“ und „du sollst zurückgeben das fremde Gut.“ Glauben an den einen Gott aber ist dasselbe wie: nicht fremde Götter haben. III. Alles Begehren kommt in ein und demselben Wesensmerkmale überein; und deshalb gebraucht der Apostel die Einzahl. Die Gründe zu begehren sind aber verschieden (s. ob.) für das neunte und für das zehnte Gebot.
