Dritter Artikel. Das Gesetz des Neuen Bundes durfte nicht von Anfang der Welt an, gegeben werden.
a) Das Gegenteil wird klar gemacht: I. „Bei Gott gilt kein Ansehen der Person.“ (Röm. 2.) „Alle Menschen aber haben gesündigt und bedürfen der Gnade Gottes.“ (Röm. 3.) Also mußte das Gesetz des Evangeliums allen Menschen zu Hilfe kommen und somit vom Beginne der Welt an gegeben werden. II. Matth. ult. wird befohlen das Evangelium an allen Orten zu predigen. Also mußte es auch zu allen Zeiten gepredigt werden, da „Gott will, daß alle Menschen selig werden.“ III. Das ewige Heil ist dem Menschen mehr Bedürfnis wie das zeitliche. Für das Wohl des. Körpers aber hat Gott von Anfang an gesorgt, da Er (Gen 1.) der Gewalt des Menschen übergab, was wegen des Menschen geschaffen war. Als c. Auf der anderen Seite sagt Paulus (1. Kor. 15.): „Nicht früher was geistig, sondern was sinnfällig ist.“ Das Gesetz des Neuen Bundes aber ist im höchsten Grade geistig.
b) Ich antworte; das Gesetz des Neuen Bundes durfte nicht vom Beginne der Welt an gegeben werden. Die Gründe sind folgende: 1. Dieses Gesetz ist an erster leitender Stelle die Gnade des heiligen Geistes, welche in überfließender Weise nicht gegeben werden durfte, ehe nicht das Hindernis dafür, die Sünde, durch die Erlösung hinweggeräumt war. Deshalb heißt es Joh. 7.: „Noch nicht war der heilige Geist gegeben, weil Jesus noch nicht verherrlicht war.“ Und darauf deutet offenbar der Apostel hin Röm. 8.: „Da Gott seinen Sohn sandte in der Ähnlichkeit des Fleisches der Sünde, verwarf Er von der Sünde her die Sünde im Fleische, damit die Rechtfertigung des Gesetzes in uns erfüllt würde.“ 2. Das Neue Gesetz ist durchaus vollendet. Nichts aber gelangt zur Vollendung sogleich im Beginne, sondern nach und nach; wie jemand zuerst Kind ist und dann Mann. Deshalb sagt Paulus (Gal. 3.): „Das Gesetz war unser Erzieher zu Christo hin, damit wir aus dem Glauben gerecht fertigt werden; da aber der Glaube gekommen, sind wir nicht mehr unter dem Erzieher.“ 3. Das Neue Gesetz ist das Gesetz der Gnade. Vorher also mußte der Mensch, sich selbst überlassen, seine Schwäche erkennen, ehe er erkannte, daß er der Gnade bedürfte. Dies deutet der Apostel an (Röm. 5.): „Das Gesetz ist dazwischengetreten, so daß überfließend war die Sünde; wo aber die Sünde überfloß, da floß auch über die Gnade.“
c) I. Kraft der Erbsünde hat das Menschengeschlecht es verdient, der Gnade zu ermangeln. Und deshalb wird, wie Augustin sagt (de perf. justitiae X. ep. 127.) „jenen, welche den Beistand der Gnade nicht erhalten, derselbe aus Gerechtigkeit verweigert; und denen er gegeben wird, die erhalten ihn aus reinster Barmherzigkeit.“ Es besteht da also „kein Ansehen der Person“, daß Gott, um der gebührenden Ordnung der Weisheit willen, seine Gnade erst später gab. II. Der Unterschied des Ortes macht keinen Unterschied im Zustande des Menschengeschlechts; wohl aber ändert sich dieser in der Aufeinanderfolge der Zeiten. Zu allen Zeiten gab es jedoch deren, die zum Neuen Testament gehörten; vgl. oben. III. Was dem körperlichen Wohle gilt, das dient der Natur des Menschen, welche durch die Sünde nicht entfernt worden. Die Gnade aber ward verloren durch die Sünde. Also stimmt dies nicht.
