Vierter Artikel. Das Gesetz des Neuen Bundes wird dauern bis zum Cnde der
a) I. 1. Kor. 13. heißt es: „Wenn kommen wird, was vollendet ist, wird leer gemacht werden, was nur zum Teile ist.“ Das Neue Gesetz aber ist nur etwas Teilweises. Denn „wir erkennen jetzt, was nur teilweise ist,“ sagt derselbe Apostel. II. Joh. 16. hat der Herr seinen Jüngern für die Ankunft des heiligen Geistes die Kenntnis aller Wahrheit verheißen. Noch nicht aber erkennt gegenwärtig die Kirche alle Wahrheit. Also ist noch ein anderes „Gesetz“ zu erwarten, worin durch den heiligen Geist alle Wahrheit geoffenbart werden wird. III. Wie der Vater ein anderer ist als der Sohn, so ist der heilige Geist ein anderer als der Vater und der Sohn. Nun war ein Gesetzeszustand, der des Alten Bundes, der Person des Vaters entsprechend, wo nämlich die Menschen zumal der Erzeugung sich zuwandten. Dann ist ähnlich ein anderer Gesetzeszustand der Person des Sohnes entsprechend, der des Neuen Bundes; wo die Kleriker die leitende Stellung haben, welche der Betrachtung der Weisheit sich zuwenden, der dem Sohne appropriierten Vollkommenheit. Also wird auch ein dritter solcher Zustand kommen, wo die rein geistigen Männer an der Spitze stehen. IV. Matth. 24. heißt es: „Dieses Evangelium des Himmelreiches wird gepredigt werden auf dem ganzen Erdkreise; und dann wird die Vollendung kommen.“ Das Evangelium Christi ist aber schon längst auf dem ganzen Erdkreise gepredigt worden; und trotzdem ist die Vollendung noch nicht gekommen. Also ist es nicht das Evangelium des Himmelreiches; sondern es steht noch in der Zukunft aus ein anderes Evangelium, das des heiligen Geistes nämlich und somit ein anderes „Gesetz“. Auf der anderen Seite sagt der Herr (Matth. 24.): „Ich sage euch, dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis nicht Alles geschehen ist;“ was Chrysostomus (hom. 78.) auseinandersetzt von dem Geschlechte der Gläubigen Christi. Also wird der Stand des Glaubens Christi bleiben bis zum Untergange der Welt.
b) Ich antworte; in zweifacher Weise kann sich ändern ein Zustand der Welt: einmal auf Grund der Verschiedenheit des Gesetzes; und so wird dem gegenwärtigen kein anderer Gesetzeszustand mehr folgen. Denn dieser ist dem Alten Gesetze gefolgt wie das Vollkommenere folgt dem Unvollkommenen. Kein Zustand im gegenwärtigen Leben aber kann vollkommener sein wie der des Neuen Gesetzes. Denn nichts kann dem letzten Endzwecke näher stehen wie Jenes, was unmittelbar in den letzten Endzweck hineinführt. Das aber thut das Neue Gesetz. Denn Hebr. 10. heißt es: „Vertrauen also setzend, Brüder, in den Eingang der Heiligen im Blute Christi, treten wir auf den neuen Weg, den Christus vor uns gegangen.“ Um so vollkommener aber ist etwas, je näher es dem letzten Endzwecke steht. Dann wird der Zustand der Menschen in dem Falle ein anderer, daß sich dieselben zu ein und demselben „Gesetze“ in verschiedener Weise verhalten, nämlich minder oder mehr vollkommen. Und so ward der Stand des Alten Gesetzes oft ein anderer, insofern manchmal die Gebote desselben im höchsten Grade gut beobachtet, manchmal aber durchaus vernachlässigt wurden. Ähnlich wird der Stand des Neuen Bundes ein anderer nach Zeit, Ort und Personen, insofern die Gnade Christi mehr oder minder vollkommen von den einzelnen besessen wird. Es ist aber kein Stand für die Zukunft zu erwarten, wo der heilige Geist eine wesentlich vollkommenere Gnade ausgießen wird, als dies bisher geschah, zumal die Apostel „die Erstlinge des Geistes empfingen,“ d. h. „der Zeit nach früher und in mehr vollendetem Maße wie die übrigen,“ sagt die Glosse zu Röm. 8.
c) I. Ein dreifacher Gesetzeszustand besteht bei den Menschen nach Dionysius. (De coel. hier. 5.) Der eine ist der des Alten Bundes; der andere der im Neuen Bunde; der dritte im ewigen Heim. Der erste ist die Figur und das Bild für den zweiten, der zweite für den dritten, wie Paulus andeutet (1. Kor. 13.): „Jetzt schauen wir im Bilde und im Rätsel; dort aber von Angesicht zu Angesicht.“ II. Wie Augustin (de haeres. 26 et 46.) sagt, lehrten Montanus und Priscilla, die Verheißung des heiligen Geistes sei nicht in den Aposteln erfüllt worden, sondern in ihnen. Ähnlich nannten die Manichäer den Manichäus ihren „Parakletus“. Beide Parteien also nahmen nicht die Apostelgeschichte an, wo (Act. 2.) erzählt wird, wie das Wort des Heilandes: „ihr werdet getauft werden im heiligen Geiste nicht nach vielen bevorstehen den Tagen“ an den Aposteln erfüllt ward. Aus Joh. 7. aber: „Noch nicht ward der Geist gegeben, denn Jesus war noch nicht verherrlicht,“ ergiebt sich die Nichtigkeit all dieser und ähnlicher Schwätzereien; denn daraus folgt, daß sogleich nach der Verherrlichung Jesu der heilige Geist gegeben wurde. Der heilige Geist nun lehrte den Aposteln alle Wahrheit über das, was geglaubt und gethan werden müßte; jedoch nicht über alle zukünftigen Begebenheiten, weil das nicht notwendig ist zum Heile, nach Act. 1.: „Nicht euere Sache ist es, zu kennen die Zeiten und die Augenblicke, die der Vater in seine Gewalt gelegt.“ III. Das Alte Gesetz ist nicht das Gesetz des Vaters allein, sondern auch Christi, dessen Figur es war, wie der Herr Joh. 5. sagt: „Würdet ihr dem Moses glauben, so möchtet ihr wohl auch mir gegenüber dies thun; denn über mich hat Moses geschrieben.“ Und der Neue Bund ist nicht nur das Gesetz Christi, sondern auch das des heiligen Geistes, nach Röm. 8.: „Das Gesetz des Geistes des Lebens in Christo Jesu.“ Also ist kein anderes zu erwarten. IV. Christus selbst sprach am Beginne seiner Predigt: „Es hat sich genaht das Reich der Himmel;“ also wäre es die größte Thorheit zu meinen, sein Evangelium sei nicht das des Himmelreiches. Die Predigt des Evangeliums aber wird entweder aufgefaßt als die Verbreitung der Kenntnis Christi; und so ward es verbreitet nach Chrysostomus (hom. 75.) auf der ganzen Erde zur Zeit der Apostel; und ist das: „Und dann wird das Ende sein“ zu verstehen von der Zerstörung Jerusalems; — oder die Predigt des Evangeliums wird aufgefaßt als mit der vollen Wirkung verbunden, so daß in jedem Volke dasselbe Wurzel gefaßt hat; und so ist das Evangelium nach Augustin (ad Hesychium) noch nicht „gepredigt worden auf dem ganzen Erdkreise.“ Ist dies geschehen, so „kommt das Ende;“ nämlich der Welt.
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