Sechster Artikel. Ohne die von außen kommende anregende Gnade kann der Mensch sich nicht von sich selbst auf für die Gnade vorbereiten.
a) Das Gegenteil scheint wahr zu sein. Denn: I. Dem Menschen wird nichts Unmögliches aufgelegt. Zachar. 1, 3. aber heißt es: „Bekehret euch zu mir und ich werde mich euch zuwenden.“ Also kann der Mensch von sich aus sich bekehren, d. h. sich zum Empfange der Gnade vorbereiten. II. Der Mensch bereitet sich zur Gnade vor, indem er thut was von ihm abhängt; denn dem Menschen, der thut, was an ihm liegt, verweigert Gott nicht die Gnade, da „Gott den guten Geist giebt denen, die Ihn darum bitten.“ (Matth. 7.) Was an uns aber liegt oder von uns abhängt, das ist in unserer Gewalt. Also ist die Vorbereitung zur Gnade in des Menschen Gewalt. III. Bedarf der Mensch der Gnade zur Gnade, so geht das ins Endlose; was unzulässig ist. IV. Prov. 16. heißt es: „Des Menschen Sache ist es, den Geist vor zubereiten.“ Also ist es in seiner Gewalt. Auf der anderen Seite sagt der Heiland (Joh. 6.): „Niemand kommt zu mir, wenn nicht der Vater, der mich gesandt, ihn zieht.“ Könnte aber der Mensch von sich selbst aus sich vorbereiten zur Gnade, so bedürfte es nicht dessen, daß er gezogen würde.
b) Ich antworte, einmal werde der Mensch vorbereitet, um gut zu wirken und Gottes zu genießen; und solche Vorbereitung ist nicht möglich ohne den inneren Gnadenzustand als das Princip jeglichen verdienstvollen Wirkens; — dann werde der Mensch vorbereitet, um diesen inneren Gnadenzustand selber zu empfangen. Dazu aber muß man nicht voraussetzen einen anderen Gnadenzustand als Vorbereitung zur eingegossenen Tugend; dies hieße ins Endlose gehen. Wohl aber muß man voraussetzen einen anderen Beistand Gottes, der im Innern den Anstoß giebt und den guten Vorsatz einflößt. Denn auf beide Weisen bedürfen wir des göttlichen Beistandes. Daß wir aber in dieser letzten Weise den Gnadenbeistand Gottes bedürfen, um den inneren Zustand der Gnade zu erhalten, das ist offenbar. Denn jede Ursache wendet ihre Wirkungen zu ihrem Zwecke, da ja jede Ursache um des Zweckes willen wirkt; da also der Reihe der wirkenden Ursache entspricht die Reihe der Zweckrichtungen, so ist offenbar dazu daß der Mensch sich zum schlechthin letzten Endzwecke wendet erforderlich der Anstoß von der schlechthin erstbewegenden Ursache. So wird die Seele des Soldaten bewegt, um den Sieg zu erstreben, von dem Anstoße, der vom ersten Heerführer ausgeht; dazu aber daß er einer gewissen Fahne in einem bestimmten Teile der Schlachtreihe folgt wird er bewegt durch den Anstoß, der vom betreffenden Unteranführer ausgeht. Da also Gott der erstbewegende Grund ist, so wird infolge des von Ihm ausgehenden Anstoßes Alles, zum letzten Endzwecke gekehrt gemäß der Absicht, die sich auf das Gute im allgemeinen richtet; denn dadurch will Jedes in seiner Weise Gott ähnlich werden. „Gott wendet Alles zu Sich selbst,“ sagte oben Dionysius. Die Gerechten nun wendet Gott zu Sich als zu ihrem Endzwecke im einzelnen, „dem sie wie dem ihnen eigens entsprechenden besonderen Gute anhängen.“ (Ps. 72.) Daß also der Mensch sich zu Gott bekehrt, das ist nur auf Grund dessen daß Gott ihn zu Sich kehrt. Und dies besagt: „sich vorbereiten zur Gnade.“ So bereitet sich jener, der den Blick vom Lichte abgewandt hatte dazu vor, das Sonnenlicht in sich aufzunehmen dadurch, daß er seine Augen zur Sonne wendet. Nur also mit Hilfe Gottes kann der Mensch sich zur Gnade vorbereiten.
c) I. Die Bekehrung zu Gott geschieht vermittelst des freien Willens; und danach wird dem Menschen befohlen, sich zu Gott zu bekehren. Diesen freien Willen aber wendet Gott zu Sich, nach Jerem. 31.: „Kehre mich zu Dir, o Gott; und ich werde mich zu Dir bekehren;“ und Klagel. ult. 21. II. Der Mensch „kann nichts machen ohne Gott.“ (Joh. 15.) Macht also der Mensch Alles, was an ihm liegt und von ihm abhängt, so thut er es eben, insoweit er von Gott dazu den Anstoß erhalten hat. III. Daß der Mensch von Gott bewegt wird, bedarf keiner anderen vorhergehenden Bewegung; denn Gott ist der Erstbewegende. Der Einwurf hätte Sinn, wenn dem einen inneren Gnadenzustande ein anderer immer wieder vorausgehen müßte. IV. Des Menschen Sache ist es, den Geist vorzubereiten; denn dies geschieht vermittelst seines freien Willens; der jedoch von Gott her den Anstoß erhält, um sich zu Gott zu wenden.
