Zweiter Artikel. Es giebt eine wirkende und eine mitwirkende Gnade.
a) Das wird unzulässigerweise gesagt. Denn: I. Da die Gnade eine Eigenschaft oder Zuthat ist, so wirkt sie nicht in das sie tragende Subjekt hinein; also ist sie keine „wirkende“. II. Die Gnade wirkt am allermeisten in uns die Rechtfertigung. Diese aber wird nicht einzig von der Gnade gewirkt, nach Augustin zu Joh. 14. (opera quae ego facio tract. 72 in Joa.): „Wer dich geschaffen hat ohne dich, wird dich nicht rechtfertigen ohne dich.“ Also ist die Gnade immer eine mitwirkende. III. „Mitwirken“ wird von jener wirkenden Kraft ausgesagt, die niedriger steht. Die Gnade aber steht höher wie der freie Wille, nach Röm. 9, 16. Also darf man die Gnade nicht als „mitwirkende“ bezeichnen. IV. Jeder Unterschied muß in einem gewissen Gegensatze begründet sein. „Wirken“ aber und „mitwirken“ stehen zu einander in keinerlei Gegensatz. Auf der anderen Seite sagt Augustin (de grat. et lib. arbitr. c. 17.): „Durch seine Mitwirkung vollendet Gott was Er durch sein Einwirken angefangen. Denn daß wir wollen, wirkt Er in uns und giebt damit den Beginn; und mit den wollenden wirkt Er mit und giebt dadurch die Vollendung.“
b) Ich antworte, sowohl als Anstoß zum guten Wollen und Wirken, sowie auch als innerer bleibender Zustand könne der göttliche Gnadenbeistand aufgefaßt werden als „einwirkend“ und „mitwirkend“. Denn die Thätigkeit dessen, was gewirkt ist, wird nicht dem Beweglichen zugeeignet, sondern dem Bewegenden oder in Thätigkeit Setzenden. Bei jener Wirkung also, wo unser vernünftiger Geist in Thätigkeit gesetzt oder bewegt ist, ohne daß er selbst in Thätigkeit setzt oder bewegt, wo also nur Gott allein in bewegender Weise thätig ist, wird das Thätigsein Gott zugeschrieben; und danach wird von einer „einwirkenden“ Gnade gesprochen. Bei jener Wirkung aber, wo unser vernünftiger Geist sowohl selbst in Thätigkeit setzt als auch in Thätigkeit gesetzt ist, wird das Thätigsein nicht Gott allein zugeschrieben, sondern auch der Seele; und danach spricht man von einer „mitwirkenden“ Gnade. Nun besteht in uns eine doppelte Thätigkeit: 1. die innere Willensthätigkeit; und mit Rücksicht darauf ist der Wille ein nur in Thätigkeit oder Bewegung gesetzter und nicht selbst ein bewegender; hier ist Gott der in Thätigkeit setzende. Und zwar tritt dies zumal ein, wenn der Wille beginnt, etwas Gutes zu wollen, nachdem er vorher das Böse gewollt hatte; soweit also hier Gott den menschlichen Geist zu diesem besonderen einzelnen Willensakte hin bestimmt, heißt die Gnade eine „einwirkende“. Dann ist 2. der äußere Akt, der vom Willen den anderen Vermögen vorgeschrieben wird; und mit Rücksicht auf diesen Akt wird das Thätigsein dem Willen ebenfalls zugeteilt. Weil aber Gott auch zu diesem Akte hilft, sowohl indem Er innen den Willen festigt, als auch indem Er die äußeren Fähigkeiten unterstützt; so ist hier von einer „mitwirkenden“ Gnade die Rede. Also ist mit Rücksicht auf den Anstoß zur Thätigkeit die Einteilung richtig: „Daß wir wollen, wirkt Gott; daß wir vollenden, wenn wir wollen, dazu wirkt Gott mit,“ sagt Augustin (l.c.). Wird die Gnade ferner als innerer Zustand betrachtet, so ist zweifach ihre Wirkung wie bei allen Formen und Zuständen: die erste ist das Sein, die zweite das Thätigsein. So macht die Wärme zuerst, daß etwas warm ist; und dann, daß dieses wärmt. Inwieweit also die Seele von der Gnade geheilt oder gerechtfertigt wird und demnach Gott wohlgefällig ist, wird sie „wirkende Gnade“ genannt; inwieweit sie das Princip für verdienstliches Wirken bildet, was ja vom freien Willen ausgeht, heißt sie „mitwirkende Gnade“.
c) I. Nicht einwirkend, sondern formal ist die Gnade thätig als eine Zuthat zur Seele; wie durch das Weiße eine Mauer weiß ist. II. Durch die Bewegung des freien Willens stimmen wir Gottes Gerechtigkeit zu, während wir gerechtfertigt werden; und so werden wir nicht gerechtfertigt ohne uns. Diese freie Willensbewegung aber ist die Wirkung der Gnade, nicht deren Ursache; das ganze diesbezügliche Thätigsein also kommt von der Gnade. III. „Mitwirken“ wird nicht nur vom Werkzeuge ausgesagt; sondern auch von jenem, der beisteht, damit der vorgesetzte Zweck erreicht werde. Durch die „wirkende Gnade“ nun steht Gott bei, daß der Mensch das Gute wolle; und ist so der Zweck als gewollt vorausgesetzt, so wirkt dann die Gnade mit uns. IV. Die „wirkende“ und „mitwirkende“ Gnade ist ein und dieselbe; die Wirkungen sind verschieden.
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