Vierter Artikel. Die Einteilung der „unverdienten“ Gnade zum Besten anderer.
a) Die Einteilung in 1. Kor. 12, 8. 9. 10. scheint unzureichend. Denn: I. Was wir unverdienterweise von Gott erhalten haben, dessen ist, sowohl was den Körper wie was die Seele anbelangt, ohne Ende viel; obgleich es uns nicht zugleich Gott wohlgefällig macht. Also giebt es gar keine bestimmte Einteilung. II. Der Glaube ist eine „unverdiente“ Gnade, zugleich aber wohlgefällig machend; denn „wir werden gerechtfertigt aus dem Glauben.“ (Röm. 5.) Also steht mit Unrecht der Glaube unter den bloß unverdienten. III. Die Sprachengabe und die Bewirkung der Gesundheit sind Wunderwerke; ebenso gehört die Erklärung der Schrift zur Weisheit oder Wissenschaft, nach Dan. 1.: „Diesen Knaben gab Gott Wissenschaft und Gelehrsamkeit in jedem Buche und in jeder Weisheit.“ Also wird das Alles unzulässigerweise voneinander unterschieden. IV. Wie Weisheit und Wissenschaft mußte auch Verständnis, Rat, Frömmigkeit und die anderen Gaben des heiligen Geistes aufgezählt werden. Auf der anderen Seite sagt Paulus (I. c.): „Dem einen wird durch den Geist gegeben, die Rede der Weisheit, dem anderen die Rede der Wissenschaft, dem dritten gemäß dem nämlichen Geiste der Glaube, dem vierten die Gnade Krankheiten zu heilen, dem fünften die Gabe Wunder zu wirken, dem sechsten Weissagung, dem siebenten Unterscheidung der Geister, dem achten die Sprachengabe und endlich dem letzten die Schrifterklärung.“
b) Ich antworte, diese Gnaden werden zum Besten anderer jemandem gegeben. Nicht aber kann der eine Mensch dem anderen dadurch beistehen, daß er innerlich dessen Willen bestimmt, wie dies Gott und zwar Er allein vermag. Also kann dies nur in der Weise geschehen, daß der eine Mensch den anderen unterrichtet in göttlichen Dingen. Dazu sind nun drei Bedingungen erforderlich: 1. daß er selbst die Fülle der Kenntnis göttlicher Dinge erlangt hat; 2. daß er beweisen kann, was er behauptet; 3. daß er, was er weiß, in zukömmlicher Weise vortragen kann. Mit Rücksicht auf 1. muß jemand
a) die Gewißheit der Principien jener Wissenschaft in sich besitzen, die er anderen lehren will; und mit Rücksicht darauf steht hier der Glaube, der da ist Gewißheit über die unsichtbaren Dinge, die wie Principien sind in der Heilswissenschaft; —
b) muß er im rechten Besitze der hauptsächlichsten Schlußfolgerungen der betreffenden Wissenschaft sein; und da steht hier die Rede der Weisheit, als der Kenntnis des Göttlichen; —
c) muß er Überfluß haben an Beispielen und an Kenntnis der Wirkungen, wodurch manchmal die Ursachen erläutert werden und das ist die Rede der Wissenschaft. Bekräftigt aber wird 2. die vorgetragene Lehre durch Beweise. Da ist nun im rein Göttlichen das, was göttlicher Kraft allein eigen ist; und zwar
a) die Wunder mit Bezug auf die vergänglichen Körper; und dafür steht die Gnade der Heilungen; —
b) mit Bezug auf die Elemente und Himmelskörper; dafür wird gesetzt das Wirken der Kräfte, nämlich das Wunderbare; —
c) wird bekräftigt der Unterricht durch die Offenbarung dessen, was nur Gott wissen kann, nämlich durch die Prophetie und
d) durch die Kenntnis der Herzen oder die Unterscheidung der Geister. Das Vortragen der Wahrheit nun 3. betrifft
a) die Sprache selber; und mit Rücksicht darauf steht die Sprachengabe; —
b) den Sinn oder die Klarmachung dessen, was vorgetragen wird; und das ist die Schrifterklärung.
c) I. Nur was die Kraft der Natur übersteigt, wird als „unverdiente“ Gnade bezeichnet; wie wenn ein Fischer im Überflüsse die Gabe der Weisheit besitzt. II. Der Glaube bedeutet hier nicht die Rechtfertigung, sondern eine hervorragende persönliche Gewißheit von dem was geglaubt wird, wonach der Mensch geeignet wird andere zu unterrichten. Hoffnung und Liebe regeln das Begehren des einzelnen Menschen, soweit dasselbe auf Gott sich richtet. III. Das wunderbare Heilen hat eine besondere Beziehung, um jemanden bereitwillig zu machen, daß er auf Grund der erwiesenen Wohlthat die Tugend des Glaubens empfange. So auch haben die Sprachengabe und Schrifterklärung eine besondere Kraft, jemanden zum Glauben zu führen. IV. Nicht als Gaben des heiligen Geistes, insoweit sie den menschlichen Geist geeignet machen, vom heiligen Geiste in Thätigkeit gesetzt zu werden, sind hier Weisheit und Wissenschaft genannt; sondern insoweit sie einen gewissen Überfluß an Weisheit und Wissen einschließen, wonach der eine den anderen belehren kann. Deshalb wird bezeichnenderweise gesagt: „Rede der Weisheit,“ „Rede der Wissenschaft;“ und Augustin (14. de Trin. 1.) schreibt: „Ein Anderes ist es, selbst nur zu wissen, was zum ewigen Leben führt; ein Anderes es so zu wissen, daß es den Frommen helfe, und gegen die Gottlosen verteidigt werde.“
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