Fünfter Artikel. Die heiligmachende Gnade ist wertvoller wie die bloß „unverdiente“.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. „Das dem ganzen Volke entsprechende Gute ist besser wie das eines einzelnen;“ heißt es in 1 Ethic. 2. Die „unverdiente“ Gnade aber ist gerichtet auf das Wohl der ganzen Kirche; die heiligmachende nur auf das Wohl eines einzelnen. II. Was in Anderes einwirken kann, steht höher in der Vollendung wie was bloß in sich vollendet ist; wie ein Körper in höherem Grade hell ist, der auch andere erleuchten kann. Deshalb sagt Aristoteles (5 Ethic. 1.): „Die Gerechtigkeit ist die leuchtendste Tugend, denn kraft ihrer verhält sich der Mensch gut zu den anderen.“ Die „unverdiente“ Gnade aber dient dem Besten anderer, die heiligmachende nur dem eigenen Besten. III. Was den besseren eigentümlich ist, das ist wertvoller wie das, was alle haben. Die heiligmachende Gnade aber ist allen gemeinsam, die „unverdiente“ kommt nur den besseren Gliedern der Kirche zu. Auf der anderen Seite sagt Paulus nach der Aufzählung der „unverdienten“ Gnaden: „Noch habe ich euch einen mehr hervorragenden Weg zu zeigen;“ und spricht dann von der heiligen Liebe, die sich auf die heiligmachende Gnade bezieht.
b) Ich antworte, jede Tugend stehe um so höher, je größer das Gut ist, worauf sie gerichtet ist. Denn der Zweck steht immer über dem nur Zweckdienlichen. Die heiligmachende Gnade aber richtet den Menschen unmittelbar auf den letzten Zweck; die „unverdiente“ richtet ihn nur auf das Zweckdienliche, was dazu da ist, daß die Menschen mit dem letzten Endzwecke verbunden werden; wie die Wunder, die Weissagung, der Unterricht. Also.
c) I. Das Gute einer Menge, wie z. B. eines Heeres ist: 1. dasjenige, was dieser Menge selber entspricht, z. B. die Ordnung; 2. dasjenige, welches von dem Heere getrennt ist, wie das Gute des Heerführers; und letzteres ist besser, weil es auch der Zweck des erstgenannten ist, wie die Ordnung im Heere dem Zwecke des Heerführers dient. Die „unverdiente“ Gnade nun hat Beziehung zur kirchlichen Ordnung, also zum gemeinsamen Gute der Kirche; die heiligmachende Gnade aber zu Gott, dem Gute des All und somit auch der Kirche, was vom All selber getrennt ist. Letztere also ist wertvoller. II. Der Einwurf ginge von statten, wenn die „unverdiente“ Gnade machen könnte, daß der andere mit Gott verbunden, Gott wohlgefällig werde; denn die Helle der Sonne steht höher wie die eines erleuchteten Körpers. Aber diese Gnade verursacht nur eine gewisse Vorbereitung für die heiligmachende Gnade. So steht auch beim Feuer die Wärme, welche seine Gattung offenbar macht und die Anderes wärmt, nicht höher als das Feuer in seiner substantialen wesentlichen Form. III. Hier ist das gemeinsame Gut, nämlich Gott, der letzte Endzweck; also Alles steht dazu in Beziehung wie zweckdienlich. L.
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