Sechster Artikel. Der Nachlaß der Sünden zählt unter jenen Dingen, welche erfordert werden zur Rechtfertigung des Sünders.
a) Dagegen wird geltend gemacht: I. Die Substanz eines Dinges zählt nicht unter dem, was zu dem Dinge erfordert wird; wie z. B. der Mensch nicht mitgezählt wird mit Leib und Seele. Die Rechtfertigung des Sünders aber ist geradezu der Substanz nach eben der Nachlaß der Sünden. II. Das Nämliche ist der Nachlaß der Sünde und das Eingießen der Gnade. Also dürfen nicht beide Dinge nebeneinandergestellt werden in der Aufzählung dessen, was zur Rechtfertigung gehört; wie man nicht nebeneinanderstellt das Leuchten und das Aufhören der Finsternis. III. Der Nachlaß der Sünden folgt der freien Willensbewegung zu Gott hin und gegen die Sünde, wie die Wirkung der Ursache folgt; denn kraft des Glaubens und der Reue werden die Sünden nachgelassen. Die Wirkung aber muß nicht aufgezählt werden neben ihrer Ursache; denn das heißt, sie auf die gleiche Stufe mit dieser stellen. Also. Auf der anderen Seite darf in der Aufzählung der Elemente, welche zu einem Dinge erfordert werden, nicht der Zweck beiseite gelassen werden; also das Hauptsächlichste für jegliches Ding. Der Nachlaß der Sünden aber ist der Zweck in der Rechtfertigung des Sünders, nach Isai 27.: „Das ist alle Frucht, daß seine Sünde hinweggenommen werde.“
b) Ich antworte, zur Rechtfertigung des Sünders gehören: 1. das Eingießen der Gnade; 2. die freie Willensbewegung zu Gott hin; 3. die freie Willensbewegung gegen die Sünde; 4. der Nachlaß der Sünde. Der Grund davon ist folgender. In jeder Bewegung findet sich: 1. der Anstoß, der vom Bewegenden ausgeht; 2. die Bewegung des Beweglichen; 3. das Gelangen zum Zwecke. Von seiten Gottes also, der den Anstoß giebt, ist das Eingießen der Gnade; von seiten des freien Willens die Bewegung zu Gott hin und von der Sünde hinweg; das Ende ist der Nachlaß der Sünden.
c) I. Die Rechtfertigung wird als der Nachlaß der Sünden bezeichnet, insoweit jede Bewegung ihren Wesenscharakter vom Zielpunkte her empfängt. II. Gemäß der Substanz des Aktes selber ist das Eingießen der Gnade und der Nachlaß der Sünden ein und dasselbe; denn im nämlichen Akte giebt Gott die Gnade und läßt die Sünde nach. Von seiten der Gegenstände aber sind sie verschieden. Denn der Nachlaß richtet sich auf die Sünde, die er fortnimmt; und das Eingießen auf die Gnade, die verliehen wird. So sind im Bereiche der Natur Entstehen und Vergehen voneinander verschieden, obgleich das Entstehen des einen das Vergehen des anderen ist. III. Es ist dies keine Aufzählung von Gattungen, die in einer „Art“ etwa enthalten sind, sondern von Elementen, die etwas vervollständigen; und da kann ein Früher und Später wohl miteintreten, je nachdem die Principien oder Teile eines Dinges früher oder später untereinander sind.
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