Dritter Artikel. Wer einen Glaubensartikel nicht annimmt, kann keinen ungeformten Glauben haben mit Rücksicht auf die anderen.
a) Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Denn: I. Die Vernunft eines Ketzers ist nicht kräftiger wie die eines Katholiken. Der letztere aber bedarf, um jeden einzelnen Artikel des Glaubens anzunehmen, des Beistandes der Gnadengabe Gottes. Also scheint es, daß auch nicht die Ketzer einzelne Glaubensartikel glauben können ohne die Gnadengabe des ungeformten Glaubens. II. Wie im Glauben mehrere Artikel, so sind in einer einzigen Wissenschaft, z. B. der Geometrie, viele Schlußfolgerungen. Ein Mensch kann aber die Wissenschaft der Geometrie besitzen mit Rücksicht auf einige Schlußfolgerungen und rücksichtlich der anderen in Unkenntnis sich finden. Also kann dies auch mit dem Glauben der Fall sein. III. Der Mensch kann einige Gebote Gottes befolgen, wenn auch nicht alle. So kann auch jemand Gott dem Herrn gehorchen mit Rücksicht auf einige Glaubensartikel, wenn auch nicht mit Rücksicht auf die anderen. Auf der anderen Seite ist der Unglaube bezüglich eines Glaubensartikels ebenso gegen den Glauben wie eine Todsünde gegen die Liebe ist. Die Liebe aber bleibt nicht im Menschen nach einer Todsünde; also auch nicht der Glaube, nachdem man einem Artikel den Glauben versagt hat.
b) Ich antworte, im Häretiker, der sich weigert, einen einzigen Glaubensartikel anzunehmen, bleibe weder der geformte noch der ungeformte Glaube. Denn die Gattung eines jeden Zustandes hängt ab vom Formalgrunde im Gegenstande; ist dieser entfernt, so kann der Zustand seiner Gattung nach nicht mehr bleiben. Der Formalgrund im Gegenstande des Glaubens aber ist die erste Wahrheit, insoweit sie geoffenbart wird in der Schrift und der Kirchenlehre, welche ihren Ursprung hat in der ersten Wahrheit. Wer also der unfehlbaren und göttlichen Richtschnur, nämlich der katholischen Kirchenlehre, nicht anhängt, da diese aus der ersten in der Schrift geoffenbarten Wahrheit hervorgeht, der hat nicht in sich den Zustand des Glaubens; mag er auch das, was Gegenstand des Glaubens ist, in anderer Weise festhalten als durch den Glauben; wie wenn jemand in der Vernunft eine Schlußfolgerung festhält, trotzdem er den strengen Beweisgrund dafür nicht kennt, es offenbar ist, daß er kein Wissen hat von dieser Schlußfolgerung, sondern nur ein Meinen. So nun ist es offenbar, daß jener, welcher der Lehre der katholischen Kirche als der unfehlbaren Richtschnur anhängt, auch Allem zustimmt, was die Kirche lehrt. Denn sonst, wenn er von dem, was die Kirche lehrt das, was er will, annimmt und was er will, verwirft, hängt er nicht mehr der unfehlbaren Richtschnur der Kirchenlehre an, sondern dem eigenen Willen. Wer also einen Glaubensartikel nicht annimmt, der will offenbar nicht in Allem der Lehre der Kirche folgen. Thut er dies nun hartnäckigerweise, so ist er ein Ketzer; ist er nicht hartnäckig, so irrt er bloß. Ein solcher Ketzer also, der einem einzigen Artikel den Glauben versagt, hat auch keinen Glauben betreffs der anderen, sondern ein gewisses Meinen je nach seiner Auswahl.
c) I. Die anderen Artikel hält der Ketzer nicht fest wie die anderen Gläubigen, nämlich kraft der einfachen Anhänglichkeit an die erste Wahrheit, wozu der Mensch des Zustandes des Glaubens bedarf; — sondern auf Grund seines Privaturteils. II. Bei den verschiedenen Schlußfolgerungen ein und derselben Wissenschaft giebt es verschiedene Beweisgründe, von denen der eine erkannt werden kann ohne den anderen. Allen Glaubensartikeln aber hängt man an auf Grund eines einzigen Beweismittels, nämlich auf Grund der ersten Wahrheit, wie sie uns in der Schrift nach der Lehre der Kirche vorgestellt wird. Wer also dieses Beweismittel zurückweist, der entbehrt durchaus des Glaubens. III. Die verschiedenen Gebote lassen sich auf je verschiedene nächste Beweggründe zurückführen; und so kann das eine ohne das andere beobachtet werden. Werden sie auf einen gemeinsamen ersten Beweggrund zurückgeführt, der da ist: vollkommen Gott gehorchen, so fällt davon ab wer auch immer nur ein Gebot übertritt, nach Jakob 2.: „Wer in einem anstößt, der ist der Übertretung aller schuldig.“
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