Fünfter Artikel. Es giebt mehrere Gattungen von Unglauben.
a) Das scheint nicht. Denn: I. Der Unglaube hat einen dem Glauben entsprechenden Formalgrund. Dieser aber ist im Glauben einer, die erste Wahrheit. Also ist auch der Formalgrund des Unglaubens die erste Wahrheit, nämlich deren Mangel. Und was im einzelnen jemand nicht glaubt, das verhält sich in der Weise des Materialen, Bestimmbaren; was keinen Unterschied in der Gattung herzustellen vermag. II. In endlosen Weisen kann jemand vom Glauben abweichen. Sollten also gemäß der Verschiedenheit der Irrtümer verschiedene Gattungen des Unglaubens angenommen werden, so wären deren endlos viele. III. Nicht mehrere Gattungen von Unglauben hat ein und derselbe. Es geschieht aber, daß jemand in verschiedenen Dingen irrt. Also hätte er in sich verschiedene Gattungen von Unglauben. Auf der anderen Seite werden jeder Tugend mehrere Laster entgegengestellt. Denn „das Gute ist geeint, das Übel vielfach geteilt.“ (4. de div. nom.) Also der einen Tugend des Glaubens stehen gegenüber mehrere Gattungen Unglauben.
b) Ich antworte, jegliche Tugend bestehe darin (I., II. Kap. 55, Art. 4.), daß sie die Richtschnur der Kenntnis oder des Wirkens in ihrer Thätigkeit erreicht. Erreichen diese Richtschnur aber ist nur auf eine einzige Weise möglich, während man in vielfacher Weise davon abweichen kann; und so entsteht die Vielheit in den Lastern, die einer einzigen Tugend entgegenstehen. Nun kann diese letztere Verschiedenheit bestehen: 1. gemäß der verschiedenen Beziehung zur Tugend; wie der moralischen Tugend das eine Laster entgegensteht, weil es die gegebene Richtschnur überschreitet, per excessum) und ein anderes, weil es hinter dieser Richtschnur zurückbleibt, per defectum; — 2. gemäß der Verschiedenheit in dem, was zum Bestande der Tugend erforderlich ist, und was bald ganz, bald nach einzelnen Teilen dem Laster fehlt; und danach können ein und derselben Tugend, wie z. B. der Mäßigkeit endlos viele Laster entgegenstehen, weil in endlos vielfacher Weise gemäß den verschiedenen Umständen der Tugend letztere mangeln kann, weshalb Pythagoras das Endlose als Übel bezeichnet. Wird nun der Unglaube betrachtet im Verhältnisse zum Zwecke, so bestehen verschiedene Gattungen Unglauben und dieselben sind der Zahl nach bestimmt. Der Ungläubige nämlich lehnt sich auf gegen den Glauben: entweder, nachdem er ihn bereits empfangen hat, sei es in der Figur, wie die Juden oder in der offenbaren Wahrheit, wie die Ketzer; oder nachdem er den Glauben noch nicht empfangen hat, wie die Heiden. Wird aber der Unterschied betrachtet nach der Verschiedenheit der Irrtümer, so sind endlos viele Gattungen Unglauben. (Aug. de haeres. fin.)
c) 1. Der formal bestimmende Grund in der Sünde kann beachtet werden: 1. von seiten des Sünders; so ist das Gute, wozu dieser sich wendet, der Gegenstand der Sünde und danach werden verschiedene Gattungen hergestellt; — 2. von seiten des Wesenscharakters im Übel; so ist jenes Gute, welches mangelt und von dem der Sünder sich entfernt, der formal bestimmende Grund; und nach dieser Seite hat die Sünde keine Gattung. Die erste Wahrheit nun ist in letztgenannter Weise Gegenstand des Unglaubens; denn der Ungläubige entfernt sich von ihr. Der formale Grund aber, zu dem er sich wendet, ist die falsche Meinung, welcher er folgt; und nach dieser Seite hin besteht die Verschiedenheit in den Gattungen. Wie also die heilige Liebe nur eine ist, denn nur ein höchstes Gut giebt es; der Laster, die der Liebe entgegengesetzt sind, aber giebt es mehrere, denn zu mehreren Klassen vergänglicher Güter wendet man sich; — so ist der Glaube einer wegen der einen ersten Wahrheit; der Unglaube aber hat mehrere Gattungen, wegen der verschiedenen falschen Meinungen, denen man sich zuwendet. II. Ist oben beantwortet. III. Der Unglaube, wenn er auch in vielen Dingen irrt, kann doch der Gattung nach einer sein, insofern diese vielen Irrtümer in Beziehung stehen zu einem leitenden Irrtum. Zudem kann der Mensch auch gemäß verschiedenen Gattungen des Unglaubens irren; wie ein Mensch verschiedenen Lastern unterworfen sein kann.
