Vierter Artikel. In allen werken Gottes ist Barmherzigkeit und Gerechtigkeit.
a) Es scheint nicht, daß in allen Werken Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit sei. Denn: I. Manche Werke werden speciell Gottes Barmherzigkeit zugeschrieben, wie die Rechtfertigung des Sünders; manche andere aber wieder der Gerechtigkeit Gottes, wie die Verwerfung der Gottlosen. Daher heißt es bei Jak. 2, 13.: „Ein Gericht ohne Barmherzigkeit wird ergehen über jenen,der nicht Barmherzigkeit geübt hat.“ II. Röm. 13. schreibt der Apostel die Beklehrung der Juden der Gerechtigkeit und Wahrheit zu; die Bekehrung der Heiden aber der Barmherzigkeit. Also nicht in jedem Werke Gottes ist die Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. III. Viele Gerechte sind in dieser Welt unglücklich. Das aber ist ungerecht. Also Barmherzigkeit und Gerechtigkeit sind nicht vereint in jedem Werke Gottes. IV. Der Gerechtigkeit gehört es zu, was man schuldig ist zu geben; der Barmherzigkeit, das Elend zu entfernen. Beides also setzt etwas in dem betreffenden Werke voraus. Die Erschaffung aber setzt nichts voraus. Also in letzterer findet sich weder Barmherzigkeit noch Gerechtigkeit. Auf der anderen Seite sagt der Psalmist (25, 10.): „Alle Werke Gottes sind Barmherzigkeit und Wahrheit.“
b) Ich antworte; es ist notwendig, daß in jedem Werke Gottes sich Barmherzigkeit mit Gerechtigkeit vereine. Es wird dann aber unter Barmherzigkeit die Entfernung jeglichen Mangels verstanden; obgleich nicht jeder Mangel eigentlich Elend genannt werden kann, sondern nur der Mangel, welcher sich in der vernünftigen Kreatur findet, die da berufen ist, glücklich zu sein: denn Elend steht gegenüber dem Glücke. Von dieser Notwendigkeit ist der Grund, daß, da die Schuld, welche der göttlichen Gerechtigkeit zufolge genuggethan wird, entweder Gott ode einer Kreatur gegenüber besteht, weder die Gerechtigkeit noch die Barmherzigkeit in irgend welchem Werke fehlen kann. Denn Gott kann nicht etwas machen, was seiner Weisheit und seiner Güte nicht entspräche; — und nach dieser Seite hin nahmen wir an eine „Schuld“ Gott gegenüber. Ähnlich kann nichts von Ihm ausgehen, was dem Verhältnisse der Dinge untereinander oder der Natur eines einzelnen entgegen sei; und nach dieser Seite hin nahmen wir eine „Schuld“ den Dingen gegenüber an. Und so muß in allen Werken Gottes Gerechtigkeit sein. Das Werk der göttlichen Gerechtigkeit aber hat immer zur Voraussetzung das Werk der göttlichen Barmherzigkeit. Denn der Kreatur wird nichts geschuldet, außer auf Grund dessen, was in ihr vorher existiert oder vorher erwogen wird. Und dieses letztere, wenn es der Kreatur geschuldet wird, wird geschuldet wieder auf Grund von etwas Anderem. Da man aber da nicht endlos weiter gehen kann, so muß man zu etwas gelangen, was rein aus der Güte des göttlichen Willens abhängt; die da immer der letzte Zweck ist. So z. B. wenn wir sagen: Warum ist dem Menschen geschuldet, daß er Hände hat? wird geantwortet: Auf Grund der vernünftigen Seele. Warum ist ihm die vernünftige Seele geschuldet? Auf Grund dessen, daß er Mensch ist. Warum ist er Mensch und kein Tier? Auf Grund der göttlichen Güte, muß hier gesagt werden. Und so ist offenbar, daß in jedem Werke Gottes Barmherzigkeit sich findet, soweit die erste Wurzel in Betracht kommt; deren Kraft in allem Folgenden bewahrt bleibt und die da, immer am wirksamsten einfließt, wie ja im allgemeinen die erste Ursache wirksamer durchdringt als die nachfolgenden, die nur kraft der ersten wirken. Und eben deshalb gewährt das, was die Verhältnisse der betreffenden Kreaiur erforern, die überfließende Güte Gottes immer reichlicher als es sein könnte. Wenigeres nämlich würde genügen, um die Ordnung der Gerechtigkeit in den Dingen zu bewahren als das, was die göttliche Güte gewährt. I. In manchen Werken Gottes offenbart sich in mehr hervorragender und wahrnehmbarer Weise die Gerechtigkeit Gottes und in manchen anderen ebenso in mehr offen hervortretender Weise die Barmherzigkeit. Und doch erscheint auch in der Verwerfung der Gottlosen die Barmherzigkeit, da weniger als verdient worden ist, bestraft wird; — und in der Rechtfertigung des Sünders erscheint die Gerechtigkeit, da die Schuld vergeben wird wegen der Liebe, die jedoch Gott selber barmherzig eingießt. So wird be Maria Magdalena gesagt: „Vergeben sind ihr viele Sünden, weil sie viel geliebt hat.“ (Luk. 7, 47.) II. Barmherzigkeit und Gerechtigkeit sind offenbar beide in der Bekehrung der Juden. Jedoch erscheint da die Gerechtigkeit nach einer Seite hin, nach welcher sie nicht erscheint bei den Heiden; denn sie werden bekehrt „wegen der Verheißungen, welche den Vätern geworden waren“. III. Auch darin, daß die Gerechten in dieser Welt leiden, erscheint, die Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Denn sie werden dadurch für kleine Schwächen bestraft und gereinigt, um Gott näher zu kommen. „Die Übel, welche wir in dieser Welt leiden, treiben uns an, zu Dir zu kommen,“ sagt Gregor der Große. (26. mor. c. 9.) IV. Der Erschaffung geht etwas vorher in der Erkenntnis Gottes. Und danach wird das Wesen der Gerechtigkeit gewährt; denn die Welt wurde geschaffen nach der in der Weisheit und Güte Gottes verborgenen Ordnung. Es wird ebenso die Barmherzigkeit gewährt; denn aus dem Nichtsein wurden die Dinge zum Sein gerufen.
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