Dritter Artikel. In Gott ist Barmherzigkeit.
a) Gegen diese Behauptung spricht bereits: I. Das Wesen der Barmherzigkeit, wonach sie eine Gattung der Traurigkeit bildet nach Damascenus (2. de orthod. fide c. 17.). Trauer aber findet sich nicht in Gott. Also ist in Ihm auch keine Barmherzigkeit. II. Barmherzigkeit heißt: in der Ausübung der Gerechtigkeit nachlassen. Das kann aber bei Gott nicht statthaben nach 2..Tim. 2, 13.: „Wenn wir nicht glauben wollen, jener bleibt treu; Er kann Sich nicht selber verleugnen.“ Er würde aber Sich selber verleugnen, wenn Er seine Worte verleugnete. Auf der anderen Seite heißt es im Ps. 110, 4.: „Erbarmender, barmherziger Gott.'
b) Ich antworte, daß Gott Barmherzigkeit im höchsten Grade zukommt; jedoch nicht nach dem sinnlichen Gefühle, sondern gemäß der Wirkung. Behufs der Klarstellung ist zu erwägen, daß „barmherzig“ jemand darum genannt wird, als ob er ein „armes Herz“ hätte, weil er über das Elend eines anderen trauert, wie wenn es sein eigenes wäre; — und demgemäß ergreift er Mittel, um es zu lindern oder zu entfernen, was letzteres dann die Wirkung dieser Trauer ist. Trauern nun über fremdes Elend; das kommt Gott nicht zu. Wirken aber dazu, daß das Elend entfernt werde; das kommt im höchsten Grade Ihm zu. Und wir verstehen hier unter Elend jeglichen Mangel. Ein Mangel aber wird nur durch die Vollendung einer gewissen Güte gehoben. Da nun die Wurzel aller Güte Gott ist, so hat Er im höchsten Grade Barmherzigkeit. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß das Mitteilen von Gutem oder Vollkommenheiten sowohl zur göttlichen Güte gehört als auch zur Gerechtigkeit sowie zur Freigebigkeit und Barmherzigkeit; jedoch immer je in einer anderen Beziehung. Denn das Mitteilen von Vollkommenheiten rührt im allgemeinen und an sich betrachtet von der göttlichen Güte her. Und soweit diese Vollkommenheiten den Dingen nach deren einzelner Natur in bestimmten Verhältnissen gegeben werden; — kommt dies von der göttlichen Gerechtigkeit. Daß Gott aber den Dingen keine Vollkommenheiten zu seinem eigenen Nutzen, sondern nur aus Güte verleihe; — das kommt von der Freigebigkeit Gottes. Und daß diese selben Volkommenheiten in den Dingen alle Mängel entfernen; — das hat seinen Grund in der göttlichen Barmherzigkeit. I. Der erste Einwurf versteht unter Baarmherzigkeit die Leidenschaft, aIso die sinnliche Trauer; — die aber ist nicht in Gott. II. Gott handelt in seiner Barmherzigkeit nicht gegen die Gerechtigkeit, sondern über dieselbe hinaus; wie wenn einem, welchem hundert Denare geschuldet werden, jemand von seinem eigenen Vermögen zweihundert giebt. Dieser letztere handelt da freigebig, aber nicht gegen die Gerechtigkeit; sowie dies auch jener nicht thut, welcher eine gegen ihn begangene Beleidigung vergiebt. Denn wer vergiebt, der schenkt dies gewissermaßen wie es Ephes. 4, 32. heißt: „Schenket, d. h. vergebet wechselseitig, wie Christus auch euch (vergeben) es geschenkt hat.“ Die Barmherzigkeit ist sonach eine gewisse Fülle der Gerechtigkeit nach Jak. 2, 13.: „Es erhebt die Barmherzigkeit das Urteil der Gerechtigkeit.“
