Zweiundzwanzigstes Kapitel. Die Vorsehung Gottes. Überleitung.
Von Zweck zu Zweck wirkt Er mit Kraft: und alles leitet Er mit sanfter Milde.“ (cap. 8.) Es ist der Vorzug der heiligen Kirchenlehrer, daß ihre Lehre überall in der Schrift wiedergefunden wird. Sie haben dieselbe nämlich aus dieser Quelle geschöpft; und deshalb spiegelt sie auf allen Seiten die heiligen Schriften wieder ab. Was hat Thomas anderes bis jetzt gethan, als daß er alle Gegensätze, die in der geschaffenen Welt sich finden, hinaufgeführt hat bis zum göttlichen Sein, wo der Gegensatz, der im Bereiche des Geschöpflichen nur vom Mangel, vom Entbehren, vom Nichtsein herrührt, seine dunkle Hülle ablegte und auf das volle Sein im Schöpfer nach irgend einer Richtung hinzeigte als auf den positiven gemeinsamen Grund! Thomas hat noch im letzten Kapitel die kreatürlichen Gegensätze zusammengefaßt und dargelegt, wie in Gott die Werke, die von Ihm ausgehen, nicht mehr den im Bereiche des Geschaffenen so allgemeinen Gegensatz zwischen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, zwischen Kälte und Wärme, Härte und Milde tragen, sondern ganz gleichmäßig Gerechtigkeit und Barmherzigkeit ausprägen. Die Schrift hatte dasselbe schon gesagt mit den Worten: „Alle Wege Gottes sind Barmherzigkeit und strenge Wahrheit.“ Sie wiederholt es im Buche der Weisheit: „Mit unwiderstehlicher Kraft reicht Gott von Zweck zum Zweck,“ vom Anfange bis zum Ende, vom Nichts bis zur Fülle. Aber ist dies etwa die Kraft des Eroberers, der Länder und Völker unterwirft? Ist es die Kraft des Hammers, der hartes Eisen weichschlägt? Freilich „leitet Gott mit eisernem Scepter; und zerbricht alles Feindliche, wie wenn es ein zerbrechliches Thongefäß wäre“; „alles dient Ihm mit Furcht.“ Aber „alles jubelt Ihm auch entgegen mit Frohlocken“. Seine Gewalt ist gerade, deshalb aIlüberragend und unwiderstehlich; weil sie mit der größten Milde gepaart ist: „Alles leitet Er mit milder Sanftmut.“ Das Feuer soll immer nach oben steigen! Wie soll dies ihm möglich sein? Wird es nicht ermüdet wie von selbst sinken? Gott hat ihm eine Natur gegeben, kraft deren es gern emporsteigt, seine Lust hat im Emporsteigen und gerade deshalb mit unwiderstehlicher Kraft emporsteigt. Unaufhörlich rasen dahin in kreisförmiger Bewegung die Sterne? Wird ihre gewaltige Masse nicht dieser so beschwerlichen Bewegung gegenüber sich widerspenstig zeigen? In ihr innerstes Wesen ist es niedergelegt, daß eben in dieser Weise ihre Bewegung unaufhörlich sei. Der Walfisch jubelt im Meere, der Vogel singt frohlockend in der Luft, der Wurm freut sich mitten im Staube! Verlassen im Schnee blüht die Alpenrose; auf einsamen, nackten Felsen kriecht das Moos; den Bergesabhang hinauf rauscht der gewaltige Eichenwald! Alles atmet Freude! Die Kohle und die Metalle tief in der Erde; sie wollen nicht heraus; — die Ströme, welche die Länder durchziehen; ihr Wasser will niemals an derselben Stelle bleiben; — das ganze Weltall mit seinen so verschiedenartigen Gliedern; jegliche Kreatur in ihm und alle Kreaturen zusammen scheinen zu Gott zu sprechen: „Du rufst, hier sind wir.“ In jede Kreatur hat Gott eine Natur gelegt, vermöge deren sie, was sie wirkt, mit Freuden wirkt, ohne jeden Zwang aus ihrem Innern, heraus; und deshalb wirkt sie es dauernd; denn nur der Zwang dauert nicht. Hier liegt der Grund für die Vereinigung von Milde und Kraft, von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit in den Wirkungen Gottes. Hier liegt der Grund für ihre ungemessene Dauer, hier ist die Quelle der erhabenen Fürsehung Gottes, insoweit sich diese auf alle Geschöpfe erstreckt. Thomas geleitet immer weiter. Er will keinen Gott darstellen, der uns fremd wäre. Unseren Gott sollen wir kennen, wir sollen Ihn lieben lernen. Wozu hat Gott so viele und so große Vollkommenheiten? Weil Er die Güte ist. Und wozu benützt Er seine Güte? Antworten wir kurz, wie Thomas oben, — er wußte es: Zu unserem Nutzen! Die Ehre seiner Güte und der Nutzen seiner Geschöpfe; das fällt bei Gott in eins zusammen. Gott ist so hoch vollkommen; Er vereinigt in Sich alle Gegensätze, alles nämlich, was durch die Gegensätze hier unten getrennt ist; damit Er für Alles, für schlechthin Alles unsere ganz allein an erster Stelle leitende Vorsehung sei. Schauen wir uns nur erst diese Vorsehung so recht an; und wir werden keine ängstliche Furcht mehr vor ihr haben. Tiefes Vertrauen wird vielmehr unser Herz durchdringen. Sie ist wie die kurze Zusammenfassung aller göttlichen Vollkommenheiten. In ihr glänzt die Unendlichkeit, da sie sich auf alles erstreckt; die Unveränderlichkeit, denn die Werke ändert sie, nicht aber den Ratschluß. Die Ewigkeit strahlt in ihr, denn über alle Zeit ist jener, „kraft dessen Anordnung der Tag bestehen bleibt“ (Ps. 118.); die Unermeßlichkeit, denn überall ist Er ganz, der Alles trägt, Allem Kraft verleiht, Alles zu Wirklichem macht. Die Weisheit fehlt da nicht, welche Alles weiß, für Alles sorgt, nichts vergißt, nichts neues lernt, das Vergangene, was von ihr ausgegangen, stets kennt, das Gegenwärtige schauend wirkt, das Zukünftige bereits vor sich hat; die da an letzter Stelle endgültig entscheidet, alles in sich selber sieht und nach außen hin hervorbringt. Die Allmacht umschließt die göttliche Fürsehung; sie kann alles, setzt nichts voraus. Und was soll über die Güte und Liebe in derselben gesagt werden, da diese ja gerade ihre Natur, ihr Quell, ihre Krone ist. Ganz gießt sie sich aus und ganz bleibt sie in sich; ganz ist sie im Staubkorn und ganz ist sie in der Sonne; ganz im Menschen und ganz im Engel; ganz außen und ganz in sich, denn alles was außen ist, zieht sie zu sich. Noch mehr! Die Vorsehung ist wie mäßigend alle übrigen Vollkommenheiten. Härter würde die Gerechtigkeit sein, wenn die Vorsehung sie nicht milderte; gewaltiger die Allmacht, wenn die Vorsehung sie nicht zügelte; glühender der Zorn, wenn nicht die Vorsehung Gottes Verzeihung erwirkte; schrecklicher seine Majestät, wenn nicht die Vorsehung den Menschen zum Verkehr mit Gott zuließe und dem Menschen in Gott einen Vertrauten gäbe. Die Rache Gottes schont; sie schont jahrelang gräuliche Missethäter; sie schont Frevel, der Jahrhunderte, Jahrtausende dauert. Von Anfang an hat Gott geschont. Er fährt fort zu schonen. Undankbare verpflichtet Er Sich durch ungezählte Wohlthaten; — denn die Vorsehung macht, daß Er seine Freude findet am Schenken und Er würde gern Sich selbst erschöpfen im Geben, wenn sein Reichtum nicht unendlich märe. O wunderbare Vollkommenheit, heilige Vorsehung! O über alles liebwerte Volllokommenheit! Gelobt kann sie mehr werden als verstanden; und verständen mehr als beschrieben. Jener wird sie loben, der sie gekostet hat. Sie hatte David vor Augen, als er sang: „Der Herr leitet mich, nichts wird mir mangeln.“ Sie richtete auf den Propheten, als er ausrief: „Ich bin nicht zu Schanden geworden und ich werde nicht zu Schanden werden, wenn ich Dir, meinem Hirten, folge.“ Die fleischgewordene Weisheit selbst hörte nicht auf, in den verschiedensten Wendungen sie zu empfehlen: „Kein Sperling fällt vom Dache, kein Haar vom Haupte, ohne daß es mein himmlischer Vater nicht so bestimmte.“ „Was habt ihr eitle Sorge darüber, was werden wir essen, was werden wir trinken; schauet an die Vögel des Himmels, sie säen nicht und ernten nicht und der himmlische Vater ernährt sie . . . ; sehet die Lilien des Feldes, sie arbeiten nicht und sie spinnen nicht; wahrlich ich sage euch, nicht Salomon in all seiner Pracht war gekleidet wie sie.“ Und als der Herr in bitterer Todesangst auf dem Ölberge Blut schwitzte, selbst da blieb die Vorsehung des himmlischen Vaters sein Trost: „Mache, daß dieser Kelch vorübergehe;“ so flehte Er, „aber nicht mein Wille geschehe, sondern der Deinige.“ Von dieser milden und starken, bis ins einzelnste gehenden und allumfassenben, von dieser erhabensten und zugleich bis zum geringsten Sein herabsteigenden, von der gerechten und barmherzigen Vorsehung mag uns nun der Engel der Schule erzählen!
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