Zweiter Artikel. Der Wille der Seligen ist nicht Sitz der Hoffnung.
a) Das scheint aber doch. Denn: I. Christus war vom Beginne seines irdischen Lebens an im Stande der Seligkeit. In seiner Person aber heißt es im Ps. 30.: „Auf Dich, Herr, habe ich gehofft.“ II. Die Erreichung der ewigen Seligkeit ist wohl schwer; aber auch das Festhalten derselben. Also gehört sich dazu fortwährend die Hoffnung. III. Auch für andere kann jemand kraft der Hoffnung die Seligkeit erwarten; das thun nun die Heiligen, denn sie legen Fürbitte ein für andere. IV. Zur Seligkeit der Heiligen gehört auch schließlich die Herrlichkeit der Körper; diese aber erwarten die Heiligen noch, nach Apok. 6., und Aug. sup. Gen. ad litt. 35. Also besteht in ihnen Hoffnung. Auf der anderen Seite sagt Paulus (Röm. 8.): „Wer hofft denn auf das, was er sieht?“ Die Heiligen aber schauen Gott.
b) Ich antworte; wenn das entfernt ist, was dem Dinge den Wesensunterschied giebt, so hört das Wesen dieses Dinges auf und das letztere kann nicht mehr andauern; wie auch wenn die natürliche Form des Körpers entzogen worden, dieser nicht mehr dem Wesen nach derselbe bleibt. Der leitende Gegenstand aber, welcher der Hoffnung ihren Wesensunterschied giebt, ist die ewige Seligkeit, insoweit sie möglich ist, kraft des göttlichen Beistandes besessen zu werden. Da also nur unter dem Gesichtspunkte des Zukünftigen die ewige Seligkeit wesentlich Gegenstand der Hoffnung ist, so hört selbstverständlich, wenn dieser Gesichtspunkt des Zukünftigen nicht mehr geltend gemacht werden kann, die Tugend der Hoffnung auf. Der Glaube also und die Hoffnung werden unnütz im himmlischen Heim; und deshalb kann keine von beiden Tugenden in den Seligen bestehen.
c) I. Christus war wohl mit Rücksicht auf die Seele und die Anschauung des göttlichen Wesens selig; Er war jedoch Pilger mit Rücksicht auf die Leidensfähigkeit der Natur, die Er hatte. Deshalb konnte Er die Herrlichkeit der Leidensunfähigkeit und der Unsterblichkeit hoffen; nicht aber als ob Er die theologische Tugend der Hoffnung gehabt hätte, die ja als leitenden Gegenstand hat nicht die Herrlichkeit des Körpers, sondern die Anschauung des göttlichen Wesens. II. Die Seligkeit der Heiligen heißt ewiges Leben; denn dadurch daß sie Gottes genießen, werden sie der göttlichen Ewigkeit teilhaft, die alle Zeit überragt. Die Fortsetzung der Seligkeit also läßt den Unterschied von Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft nicht zu. Die Heiligen haben somit keine Hoffnung auf die Fortsetzung der Seligkeit; sondern sie haben die Sache selbst, wo der Charakter des Zukünftigen nicht zutrifft. III. Während der Dauer der Tugend der Hoffnung, hofft jemand für sich und für die anderen die Seligkeit. Ist aber die Hoffnung nicht mehr in den Seligen, gemäß welcher sie für sich die Seligkeit erhofften, so hoffen sie wohl für andere die Seligkeit; nicht aber kraft der Tugend der Hoffnung, sondern vielmehr kraft der Tugend der heiligen Liebe; wie jener, der die Liebe Gottes hat, auch damit die zum Nächsten besitzt und mit der gleichen Liebe den Nächsten liebt; — jedoch kann jemand den Nächsten gern haben, trotzdem er nicht die Tugend der Liebe hat, sondern kraft andersgearteter Zuneigung. IV. Der leitende Gegenstand der Tugend der Hoffnung ist die Herrlichkeit der Seele, nicht die des Körpers. Letztere nun hat wohl den Charakter des Schwierigen mit Rücksicht auf die menschliche Natur; nicht aber mit Rücksicht auf jenen, der die Herrlichkeit der Seele besitzt, denn er hat bereits im Schauen vor sich den Allmächtigen als die Ursache für die Verherrlichung des Körpers.
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