Zwölfter Artikel. Die Liebe zum Wohlthäter im Verhältnisse zu der gegenüber jenem, der Wohlthaten empfangen.
a) Der Mensch muß mehr lieben seinen Wohlthäter wie seinen Schützling. Denn: I. Augustin sagt (de catechiz. Rudibus 4.): „Keine größere Einladung zum Lieben wie jene, welche in Beweisen der Liebe zuvorkommt; allzu hart ist der Geist, der, wenn er nicht lieben, auch nicht wiederlieben will.“ II. Je mehr jemand sündigt dadurch daß er jemanden nicht liebt, desto mehr ist der betreffende zu lieben. Schwerer aber sündigt wer seinen Wohlthäter mit Undank lohnt, wie jener, der denjenigen nicht weiterhin liebt, dem er bis dahin Wohlthaten erwiesen. Also. III. Gott und nach Ihm der Vater sind am meisten zu lieben. Dies sind aber unsere größten Wohlthäter. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (9 Ethic. 7.): „Die Wohlthäter scheinen mehr ihre Schützlinge zu lieben wie umgekehrt.“
b) Ich antworte, unter dem Gesichtspunkte des größeren hervorragenderen Gutes sei der Wohlthäter als Princip des Guten im Schützlinge mehr zu lieben. Auf Grund der innigeren Verbindung aber lieben wir mehr unsere Schützlinge. Denn sie sind 1. gleichsam ein Werk des Wohlthäters, weshalb man sagt: Der da ist ein Geschöpf dieses Mannes. So lieben auch die Dichter ihre Werke. Denn jegliches Ding liebt sein Sein und sein Leben, was im höchsten Grade sich offenbart im Wirken. 2. Der Wohlthäter sieht in seinem Schützlinge sein Gut und dieses liebt jeder gemäß der Natur. Freilich erblickt auch der Schützling im Wohlthäter sein Gut. Aber der Wohlthäter sieht im Schützling das Gut seiner Wohlanständigkeit, seiner Tugend, wogegen der Schützling im Wohlthäter sein Gut sieht, insoweit es ihm Nutzen bringt. Das erstere Gut aber wird mit mehr Freude betrachtet, sowohl weil es länger dauert, geht doch der thatsächliche Nutzen bald vorüber und ein Gut in der Erinnerung nur ist nicht wie die Freude an einem gegenwärtigen Gute; als auch weil die Tugend oder die Wohlanständigleit uns eigen zugehört, wogegen der Nutzen von anderen herrührt. 3. Die Liebe ist thätig, giebt; der geliebte Gegenstand empfängt, leidet; — besser aber ist von diesem Beiden das Thätigsein, was den Wohlthäter angeht; und deshalb hat er für den Schützling eine größere Liebe wie dieser für ihn. 4. Schwerer ist es, Wohlthaten zu spenden wie deren zu erhalten; was aber mehr Mühe macht, lieben wir mehr; was leicht zu erhalten ist, verachten wir gewissermaßen.
c) I. Im Wohlthäter liegt das Moment, wodurch der Schützling eingeladen wird, ihn zu lieben. Der Wohlthäter aber liebt den Schützling; nicht als ob ihn dieser dazu gebracht hätte, sondern von sich selbst aus. Was jedoch an und für sich selbständig ist, das ist besser, wie das was von Anderem abhängt. II. Die Liebe des Schützlings zum Wohlthäter ist mehr etwas Geschuldetes; und deshalb hat das Gegenteil mehr vom Charakter der Sünde. Die Liebe des Wohlthäters ist mehr freiwillig; und deshalb ist da mehr Bereitwilligkeit. III. Gott liebt uns mehr als wir Ihn lieben; und die Eltern lieben ihre Kinder mehr als sie von ihnen geliebt werden. Daraus folgt aber freilich nicht, daß wir jeden beliebigen Schützling mehr lieben wie jeden beliebigen Wohlthäter. Denn jene Wohlthäter, die uns die größten Wohlthaten gespendet haben, lieben wir mehr wie jenen Schützling, dem wir geringes Gute verliehen.
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