Zweiter Artikel. Leben ist nicht einfach dasselbe wie jemandem wohlwollen.
a) Dies scheint doch der Fall zu sein. Denn: I. „Lieben heißt eben jemandem Gutes oder sein Wohl wollen.“ (2 Met. 4.) II. Das Lieben ist ein Akt der heiligen Liebe, also des Willens. Der Wille aber strebt nach dem Guten. Wollen also ist für den Willen: Gutes oder das Wohl wollen. III. Fünf Dinge gehören nach 9 Ethic. 4. zur Freundschaft: 1. daß der Mensch für den Freund Gutes will; 2. daß er ihm das Sein und das Leben wünscht; 3. daß er mit Freuden mit ihm verkehrt; 4. daß er das Gleiche auswählt; 5. daß er mit ihm sich freut und mit ihm trauert. Die ersten beiden Merkmale aber gehören zum Wohlwollen. Also ist die erste Thätigkeit der Liebe das Wohlwollen. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (l. c. c. 5.): „Liebe heißt nicht wohlwollen; das Wohlwollen aber ist das Princip der Freundschaft.“ Also ist Wohlwollen nicht Lieben.
b) Ich antworte, Wohlwollen sei jene Thätigkeit des Willens, wodurch wir jemandem Gutes wünschen. Dies nun ist unterschieden vom thatsächlichen Lieben sowohl von seiten des sinnlichen wie von seiten des vernünftigen Begehrens. Denn die Liebe im sinnlichen Teile ist eine Leidenschaft. Die Leidenschaft aber neigt sich mit einem gewissen Ungestüm zu ihrem Gegenstande hin; während das Wohlwollen nicht plötzlich entsteht, sondern erst nach sorgfältiger Prüfung der betreffenden Sache. Deshalb sagt Aristoteles (9 Ethic. 5.), das Wohlwollen habe keine Unterscheidung aus Begierde, d. h. infolge von Ungestüm in der Hinneigung; sondern kraft des Urteils der Vernunft will es jemandem wohl. Ebenso unterscheidet sich die Liebe im vernünftigen Teile vom Wohlwollen. Denn sie schließt eine Einheit ein mit dem geliebten Gegenstande, insofern der liebende liebt das Geliebte als eins mit ihm selber oder insofern er zu ihm gehört und so zu selbem hinbewegt wird; während das Wohlwollen einfach ein Akt des Willens ist, der auch ohne Voraussetzung solcher Einheit bestehen kann. Im Lieben also ist das Wohlwollen eingeschlossen, das Lieben aber fügt hinzu die Einheit in der Hinneigung; deshalb sagt Aristoteles, das Wohlwollen sei das Erste, das Princip der Freundschaft.
c) I. Aristoteles definiert da nicht das Lieben an sich, sondern nur eine Wirkung, die es offenbar macht. II. Die Liebe richtet sich auf den geliebten Gegenstand; jedoch unter Voraussetzung einer gewissen Einheit mit selbem, die im Wohlwollen nicht enthalten ist. III. Diese fünf Dinge gehören zur Freundschaft, insoweit selbe aus der Liebe hervorgeht, die jemand zu sich selber hat; daß nämlich jemand dies Alles dem Freunde, gegenüber thut, wie wenn dieser er selbst wäre.
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