Siebenter Artikel. Die Zahl der Auserwählten.
a) Es scheint, daß diese Zahl nicht gewiß sei. Denn: I. Die Zahl, die einen Zusatz verträgt, ist nicht sicher. Zur Zahl der Auserwählten aber kann hinzugezählt werden. Denn im Deuteronomium c. 11. heißt es: „Der Herr unser Gott füge hinzu zu dieser Zahl viele Tausende;“ wozu die Glosse erklärend sagt: „Die bei Gott bestimmt ist, der da kennt, wer zu Ihm gehört.“ . Es ist nicht möglich, einen Grund davon anzugeben, warum Gott vielmehr in dieser als in einer anderen Zahl die Menschen zum Heile vorherbestimmt. Nichts aber geschieht von seiten Gottes ohne Grund. Also giebt es eine solche ganz sichere Zahl der Auserwählten nicht. III. Die Wirksamkeit Gottes ist vollkommener wie die der Natur. In den Werken der Natur aber findet sich das Gute in bei weitem mehr Einzeldingen wie der Mangel und der Fehl. Wenn also die Zahl der Auserwählten von seiten Gottes von vornherein zuverlässig bestimmt wäre, so müßte die Zahl der für die Herrlichkeit Auserwählten größer sein als die der Verworfenen. Das Gegenteil davon sagt jedoch der Herr selber bei Matth. 7, 15.: „Weit und geräumig ist der Weg, der zum Verderben führt und viele sind, die ihn wandeln. Eng aber ist das Thor und schmal der Weg, der zum Leben führt und wenige giebt es, die ihn finden.“ Die Zahl der Vorherbestimmten ist also bei Gott nicht bestimmt. Auf der anderen Seite sagt Augustin (de corr. et gratia, cap. 23.): „Fest bestimmt ist die Zahl der Auserwählten; weder vermehrt noch vermindert kann sie werden.“ .
b) Ich antworte; die Zahl der Auserwählten ist fest bestimmt. Einige jedoch meinten, die Zahl sei wohl fest bestimmt in der Form, nicht aber in der Anwendung; z. B. es seien hundert oder tausend vorherbestimmt, nicht aber diese oder jene Menschen. Dies aber würde die Gewißheit der Vorherbestimmung aufheben. Und deshalb muß gesagt werden, die Zahl der Auserwählten sei nach beiden Seiten hin fest bestimmt. Dabei muß bemerkt werden, daß die Zahl der Auserwählten bei Gott als fest bestimmt bezeichnet wird, nicht nur mit Rücksicht auf die Kenntnis, weil Er nämlich weiß, wie viele gerettet werden (in dieser Weise ist bei Gott fest bestimmt auch die Zahl der Regentropfen und der Sandkörner am Meere); sondern auch mit Rücksicht auf die Auswahl und die Bestimmung der einzelnen. Um dies so recht klar zu machen, muß man erwägen, daß jede wirkende Ursache beabsichtigt, etwas in gewissen Grenzen zu machen, wie oben (Kap. 7, Art. 2 u. 3) bei Gelegenheit der Besprechung des Unendlichen dargelegt ward. Wer aber ein bestimmtes Maß in dem von ihm Gewirkten beabsichtigt, der denkt sich eine gewisse Zahl der wesentlichen Teile aus, die an und für sich zur Vollendung des Ganzen erfordert werden. In dem, was nicht zur wesentlichen Vollendung unmittelbar gehört, sondern was nur zur Herstellung der wesentlichen Teile dient, ohne die das Ganze nicht bestehen kann, was also nur wegen etwas anderem und nicht weil es an und für sich notwendig wäre, da existiert, denkt er sich nicht eine bestimmte Zahl, sondern nimmt davon bei sich an, so viel erforberlich sein wird, um das Bezweckte zu vollenden. So denkt sich der Baumeister das Haus, welches er bauen soll, in gewissen Grenzen, mit bestimmtem Maße und mit einer gewissen Zahl von Zimmern. Den Mauern, dem Dache u. s. w. schreibt er bei sich ihre Lage und ihre Ausdehnung vor. Aber er wählt sich nicht ebenso eine bestimmte Anzahl Steine aus, sondern nimmt deren so viele wie genügen können zur Herstellung der hauptsächlichen Teile, der Mauern, des Daches etc. So verhält sich Gott etwa mit Rücksicht auf das All, welches seine Wirkung ist. Denn Er hat vorherbestimmt, in welchem Maße und in welchen Grenzen das ganze Universum sein sollte und welches die gehörige Zahl der wesentlichen Teile sei, die da nämlich in gewisser Weise Beziehung haben zur Beständigkeit. Er hat also vorherbestimmt, wie viele Himmelsphären, wie viele Sterne, wie viele Grundelemente, wie viele Gattungen der Dinge sein sollten. Die vergänglichen Einzelwesen aber werden nicht an erster Stelle auf das Beste des All bezogen, sondern nur an zweiter Stelle; nämlich damit durch sie das Gut der Gattung bewahrt bleibe. Wenn also auch Gott die Zahl aller Einzelwesen kennt, so ist doch die Zahl der Ochsen oder der Flöhe oder dgl. nicht an und für sich als etwas an erster Stelle Maßgebendes von Gott vorherbestimmt. Wohl aber bringt die göttliche Vorsehung so viel davon hervor, wie genügt zur Erhaltung der Gattungen. Unter allen Kreaturen aber werden als die vorzüglichsten derer, die an der ersten Stelle stehen, zum Besten des Universums hingeordnet die vernünftigen Kreaturen, welche als solche unvergänglich sind und unter ihnen wieder besonders jene, die zur Seligkeit gelangen: die also unmittelbar den letzten Zweck erreichen. Sonach ist bei Gott fest bestimmt die Zahl der Auserwählten, nicht nur mit Rücksicht auf die Kenntnis, sondern auch mit Rücksicht auf ihre für alles andere maßgebende Bestimmung. Nicht so aber verhält es sich mit der Zahl der Verworfenen, die da nur zum Besten der Guten von seiten Gottes hingeordnet werden; insofern „den Guten alle Dinge zum Besten gereichen“. Welches nun aber diese Zahl aller Auserwählten sei, darüber sagen einige, daß so viele Menschen gerettet werden als Engel gefallen sind; andere, daß die Zahl dieselbe ist wie die der im Himmel verbliebenen Engel; andere noch, daß es so viele Menschen sind als es gefallene Engel giebt und überdies noch so viele als Engel geschaffen wurden. Weit mehr Recht aber hat die Kollekte pro vivis et defunctis, die da sagt: „O Gott, dem allein bekannt ist die Zahl der Auserwählten, die ihren Platz haben in der Himmelsseligkeit,“
c) I. Der Ausdruck des Deuteron. ist von jenen zu verstehen, welche von Gott vorhervermerkt sind mit Rücksicht auf die Gerechtigkeit dieser Zeit. Die Zahl dieser vermehrt und vermindert sich; nämlich je nachdem jemand in den Stand der Gnade gelangt oder schwer sündigt. II. Die Natur des Umfanges von einem Teile ist zu bemessen nach dem Verhältnisse dieses Teiles zum Ganzen. Aus dem Verhältnisse nämlich der unmittelbaren Hauptteile des All zum Besten des Ganzen ergiebt sich der Grund davon, warum so viele Sphären, so viele Sterne, so viele Gattungen der Dinge Er gemacht hat und ähnlich, warum Er so viele gerade und nicht mehr vorherbestimmte. III. Das Gute, was im Verhältnisse steht zum gewöhnlichen Zustande der Natur, existiert immer in der Mehrzahl der einzelnen Exemplare und mangelt nur in einer geringen Minderzahl. Das Gute, was aber den gewöhnlichen Zustand der Natur überschreitet, ist immer in der Minderzahl der Exemplare und die Mehrzahl ermangelt dessen. So ist es immer die große Mehrzahl der Menschen, die da genügendes Wissen haben, um unter den gewöhnlichen Verhältnissen ihre Lebensthätigkeit zu leiten; und eine geringe Zahl ist es, welche dieses Wissens entbehrt und die deshalb als einfältig oder närrisch bezeichnet wird. Sehr wenige aber im Vergleiche zu den anderen giebt es, die eine tiefe, die gewöhnliche Natur überragende Kenntnis der Dinge besitzen. Da also die ewige Seligkeit das Maß der menschlichen Natur durchaus überschreitet und zumal noch in Anbetracht der Tiefe des Falles und der durch die Erbsünde verursachten Verderbnis, sind es wenigere, die gerettet werden. Und darin erscheint in besonders hohem Grade die Narmhelzigkeit Gottes, daß Er einige zu jenem Heile aufrichtet, von dem die meisten abfallen gemäß dem gewöhnlichen Laufe und der natürlichen Neigung der Natur.
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