Zweiter Artikel. Das Ärgernis ist eine Sünde.
a) Dies wird bestritten: I. Sünden sind keine Notwendigkeit. „Es ist aber notwendig, daß Ärgernisse kommen,“ heißt es Matth. 18. II. „Kein guter Baum kann schlechte Früchte bringen.“ Es giebt aber Ärgernisse, die von hingebender Teilnahme kommen; wie der Herr zu Petrus (Matth. 16.) sagt: „Ein Ärgernis bist du mir,“ und Hieronymus erklärt, der Irrtum sei aus hingebender Teilnahme gekommen, die niemals ein Reizmittel des Teufels ist. III. Das Ärgernis ist ein Anstoß. Nicht jeder aber, den man stößt, fällt. Auf der anderen Seite ist Ärgernis ein Wort oder eine That, die „minder recht“ ist. Deshalb aber ist etwas Sünde, weil es von der moralischen Geradheit abweicht.
b) Ich antworte, es gebe ein Ärgernis, das man leide oder nehme, und ein Ärgernis, das man gebe. „Ärgernis nehmen“ also ist immer Sünde; denn niemand nimmt thatsächlich ein Ärgernis, der nicht in etwa geistig Mangel hat oder fällt. Es kann jedoch jemand Ärgernis nehmen, ohne daß jener sündigt, an dessen Thun Ärgernis genommen wird; wie wenn jemand am Guten, was der andere thut, sich ärgert. Ähnlich ist „Ärgernis geben“ immer Sünde. Denn entweder sündigt thatsächlich jener, der es giebt; oder sein Thun hat den Anschein von etwas Sündhaften; und im letzten Falle muß dieses Thun unterbleiben aus Liebe zum Nächsten, die jeden verpflichtet, für das Heil des Nächsten zu sorgen. Cm solches „Ärgernisgeben“ kann aber bestehen, ohne daß jemand daran Ärgernis nimmt.
c) I. Die Notwendigkeit, auf welche der Herr da hinweist, ist 1. keine Notwendigkeit schlechthin, sondern eine bedingte. Die Bedingung ist, daß etw^s unfehlbar geschieht, wenn der Herr es als geschehend vorausgewußt hat. (I. Kap. 14, Art. 13 aä II. u. Kap. 23, Art. 6 aä II.) Oder es ist 2. notwendig, daß Ärgernisse kommen auf Grund der Notwendigkeit des Zweckes, zu dessen Erreichung sie nützlich sind, „damit jene, welche erprobt sind, offenbar werden.“ Oder 3. ist es notwendig, daß Ärgernisse kommen wegen der Lage und Beschaffenheit der Menschen, die vor Sünden sich nicht hüten; wie ein Arzt sagrn kann, wenn er sieht, was jemand ißt: es ist notwendig, daß Weser krank wird; nämlich wenn die Lebensweise nicht geändert wird. Und so ist es notwendig, daß Ärgernisse kommen, wenn die Menschen ihr schlechtes Leben nicht ändern. II. „Ärgernis“ steht da im weiten Sinne für „Hindernis“. Denn Petrus wollte Christi Leiden hindern infolge seiner frommen Anhänglichkeit an Christum. III. Keiner stößt geistigerweise an außer so, daß er in etwa im geistigen Fortschreiten gehindert wird, wenigstens durch eine läßliche Sünde.
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