Fünfter Artikel. Vollkommene Seelen nehmen kein Ärgernis.
a) Das Gegenteil scheint möglich. Denn: I. Christus war im höchsten Grade vollkommen. Matth. 16. sagt Er aber zu Petrus: „Du bist mir ein Ärgernis.“ II. Ein Ärgernis schließt ein Hindernis auf dem Wege der geistigen Vollkommenheit ein. Ein solches kann aber auch den vollkommenen sich entgegenstellen, nach 1. Thess. 2.: „Wir wollten zu euch kommen, ich Paulus, zu wiederholten Malen; aber Satan hinderte uns.“ III. Läßliche Sünden können auch in vollkommenen sich finden, nach I. Joh. 1, 8.: „Wenn wir sagen, wir hätten keine Sünde, verführen wir uns selbst.“ Ärgernis nehmen aber kann läßliche Sünde sein. Auf der anderen Seite sagt Hieronymus zu Matth. 18. (Qui scandalizaverit unum de pusillis istis): „Merke wohl, wer Ärgernis nimmt, der ist noch klein; die vollkommeneren nehmen lein Ärgernis.“
b) Ich antworte, Ärgernis nehmen besage eine gewisse Unruhe des Geistes. Niemand nun leidet Unruhe, wer einem unbeweglichen Gegenstande fest anhängt. Die vollkommenen aber hängen Christo fest an, dessen Güte unverrückbar ist, indem sie ihren Vorgesetzten anhängen, nach 1.- Kor. 4.: ,Ahmet mir nach, wie ich Christo nachahme.“ Wenn also andere ungeregelt sprechen oder handeln, bleiben die vollkommenen ruhig, nach Ps. 124.: „Wer auf den Herrn vertraut, wird sein wie der Berg Sion; es wird nicht erschüttert werden wer in Jerusalem wohnt.“
c) I. Wie Art. 2 ad II. gesagt, steht hier „Ärgernis“ im weiten Sinne für „Hindernis“. II. In der äußerlichen Thätigkeit können die vollkommenen Seelen gehindert werden; nicht in der innerlichen, nach Röm. 8.: „Weder der Tod noch das Leben wird mich trennen können von der Liebe Gottes.“ III. Infolge der Schwäche des Fleisches fallen die vollkommenen Seelen bisweilen in läßliche Sünden; nicht aber auf Anlaß der Worte und Beispiele anderer. Sie können jedoch dem nahekommen, nach Ps. 72.: „Meine Füße aber haben beinahe gewankt.“
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