Dritter Artikel. Zwei Gebote der heiligen Liebe reichen aus.
a) Das Gegenteil wird dargethan: I. Die Gebote richten sich auf die Tugendakte; diese aber werden geregelt durch die entsprechenden Gegenstände. Nun soll der Mensch lieben Gott, den Nächsten, sich selbst und den eigenen Körper. (Kap. 25, Art. 12.) Also müssen vier Gebote der Liebe sein. II. Die Thätigkeiten der Liebe sind auch die Freude, der Friede, das Wohlwollen. Also müssen diesbezüglich auch eigene Gebote bestehen. III. Zur Tugend gehört es auch, das Übel zu meiden. Also mußten nicht bloß affirmative Gebote der Liebe gegeben werden, sondern ebenso negative. Auf der anderen Seite sagt der Herr bei Matth. 22.: „In diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“
b) Ich antworte, die Liebe sei eine Freundschaft; eine solche kann aber nicht „unter wenigeren bestehen als zwischen zweien.“ (Gregor hom. 17. in Evgl.) Wie jemand sich selbst lieben kann, ist oben (Kap. 25, Art. 4.) gesagt worden. Da nun der Gegenstand der Liebe nur das Gute ist und das Gute sich teilt in den Zweck und das Zweckdienliche, reichen zwei Gebote hin.
c) I. „Da vier Dinge geliebt werden sollen, Gott, der Mensch selbst, der Nächste, der eigene Körper, so durften betreffs des zweiten und vierten keine Gebote gegeben werden. Denn so weit auch immer der Mensch sich von der Wahrheit entfernt, dies bleibt ihm immer: die Liebe zu sich selbst und zu seinem Körper.“ (Aug. 1. de doctr. christ. 23.) Die Richtschnur und das Maß aber dafür daß der Mensch sich und seinen Körper in geregelter Weise lieben soll, war vorzuschreiben; und dies geschieht dadurch, daß der Mensch Gott lieben soll und den Nächsten. II. Alle anderen Thätigkeiten der Liebe folgen aus dem Liebesakte selber wie die Wirkungen aus der Ursache. Also sind die Gebote betreffs der anderen Liebesthätigleiten eingeschlossen im Gebote des Liebesaktes. Und doch finden sich diese Liebesthätigkeiten wegen der schwächeren noch eigens geboten: So die Freude Phil. 4.: „Freuet euch immer im Herrn“; — der Friede Hebr. 12.: „Frieden sollt ihr halten mit allen“; — das Wohlwollen oder die Wohlthätigkeit Gal. ult.: „Während wir Zeit haben, thun wir allen Gutes.“ III. Mehr ist es, das Gute zu thun wie das Böse zu lassen. In den affirmativen Geboten also sind eingeschlossen die negativen. Ünd trotzdem findet sich auch Vieles positiv untersagt. So z. B. Lev. 19.: „Hasse deinen Bruder nicht in deinem Herzen“; — Ekkli. 6.: „Sei nicht träge in ihren Banden (der Weisheit)“; — Gal. 5.: „Seien wir nicht begierig nach eitlem Ruhme, daß wir gegenseitig Neid haben“; — 1. Kor. 1.: „Dasselbe saget immer alle und keine Spaltungen seien unter euch“; — Röm. 14.: „Gebet keinen Anstoß dem Bruder und kein Ärgernis“.
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