Vierter Artikel. Gott soll von ganzem Herzen geliebt werden.
a) Dem steht entgegen: I. Das Maß für den Tugendakt ist nicht vorgeschrieben, sondern nur der Tugendakt selber. Also mußte nicht geboten werden: aus ganzem Herzen. II. „Ganz und vollkommen ist das, wo nichts fehlt,“ sagt Aristoteles. (3 Physic.) Wer also etwas thut, was nicht zur Liebe Gottes gehört, der handelt gegen das Gebot, welches vorschreibt, Gott aus ganzem Herzen zu lieben; er sündigt somit schwer. Nun gehört die läßlche Sünde nicht zur Liebe zu Gott. Also wäre die läßliche Sünde Todsünde. III. Gott aus ganzem Herzen lieben ist Sache der vollkommenen Seelen; denn „ganz und vollkommen sind dasselbe“ (l. c.). Dann ist es aber nur geraten, nicht geboten. Auf der anderen Seite heißt es Deut. 6.: „Du sollst Gott deinen Herrn lieben aus ganzem Herzen.“
b) Ich antworte, insoweit sei eine Thätigkeit Gegenstand des Gebotes als sie Tugendthätigkeit ist. Damit etwas Tugendakt sei, ist aber nicht nur erfordert, daß dieser den richtigen Gegenstand habe, sondern auch daß er unter den gebührenden Umständen sich vollziehe; die nämlich im gehörigen Verhältnisse stehen zum entsprechenden Gegenstande. Gott aber ist zu lieben als letzter Endzweck. Also muß Alles auf ihn bezogen werden und ist Er somit aus ganzem Herzen zu lieben.
c) I. Wenn über einen Tugendakt ein Gebot gegeben wird, so ist damit nicht geboten das Maß und die Richtschnur, soweit diese von einer höheren Tugend abhängt. Aber geboten ist das Maß, welches der betreffenden Tugend selber eigen ist. Das „aus ganzem Herzen“ ist nun eigen der Liebe eben zu Gott als einer Tugend. II. Einmal wird Gott „aus ganzem Herzen“ geliebt der Thatsächlichkeit nach, so daß das ganze Herz immer thatsächlich auf Gott gerichtet ist' — und das ist die Vollendung im ewigen Heim. Dann wird Gott aus ganzem Herzen“ geliebt, wenn dem Zustande nach das Herz auf Gott gerichtet ist, so daß das Herz in sich nichts aufnimmt, was gegen die Liebe zu Gott ist; — und das ist die dem Pilger eigene Liebe. Dieser steht die läßliche Sünde nicht entgegen; denn sie nimmt den Zustand der Liebe nicht fort, da sie nicht auf den entgegengesetzten Gegenstand sich richtet. Wohl aber hindert sie den thatsächlichen Gebrauch des Zustandes der Liebe. III. Die Vollendung der Liebe in den evangelischen Räten steht in der Mitte zwischen der Vollendung im Himmel und der genannten auf dem Pilgerwege. Der Mensch zieht da sein Herz soviel wie möglich zurück selbst von dem Erlaubten, damit es immer mehr, auch thatsächlich, zu Gott hin sich bewege.
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