Erster Artikel. Die Klugheit hat ihren Sitz in der Vernunft.
a) Der Sitz der Klugheit ist der Wille. Denn: I. Augustin (de morib. Eccl. 15.) sagt: „Die Klugheit ist Liebe, die da fein auszuwählen weiß das, was hilft; und es unterscheidet von dem, was hindert.“ II. „Auswählen“ ist die Thätigkeit der Klugheit. Also ist diese im Willen. (I.) II. Kap. 13, Art. 1.) III. Aristoteles schreibt (6 Ethic. 5.): „Wenn jemand in der Kunst mit Wissen und Willen einen Fehler macht, der ist vorzuziehen jenem, der mit Rücksicht auf die Klugheit sowie auch mit Rücksicht auf die (moralischen) Tugenden fehlt.“ Die moralischen Tugenden aber sind in den begehrenden Vermögen, die Kunst ist in der Vernunft. Also ist die Klugheit vielmehr im Willen wie in der Vernunft. Auf der anderen Seite sagt Augustin (85 Qq. 61.): „Die Klugheit ist die Kenntnis der Dinge, welche man begehren oder fliehen muß.“
b) Ich antworte, „klug werde“ nach Isidor (10 Etymol. litt. P.) jemand genannt, der in die Ferne sieht und fein unterscheidend die Fälle vorausmerkt, welche auf das Ungewisse sich beziehen.“ Sehen aber ist Sache von Erkenntniskräften. Die Klugheit also hat ihren Sitz in der Erkenntniskraft; nicht aber in einer sinnlichen, denn eine solche erkennt nur das was gegenwärtig ist und den Sinnen dargeboten wird, während aus dem Gegenwärtigen und Vergangenen das Zukünftige Erkennen, was der Klugheit eigen ist ein Vergleichen einschließt und somit Sache der Vernunft ist. Also hat die Klugheit ihren Sitz in der Vernunft.
c) 1. Der Wille bewegt alle Seelenkräfte zuvörderst durch die Liebe. Nicht also ist die Klugheit ihrem Wesen nach Liebe; sondern die Stelle Augustins besagt, daß von der Liebe die Vernunft bestimmt wird, zu unterscheiden was nützlich und was schädlich ist. II. Die Klugheit bezieht sich auf das, was hilft oder hindert in dem, was gegenwärtig zu thun ist. Also bezieht sie sich auf das Zweckdienliche. Mit Rücksicht auf das Zweckdienliche aber ist die Beratung in der Vernunft, die Auswahl im Begehren. Von diesen beiden nun ist die Beratung mehr der Klugheit eigen, wie Aristoteles sagt (6 Ethik. 5.): „Der Kluge ist ein guter Berater.“ Weil aber die Beratung von der Auswahl vorausgesetzt wird, so kann auch das Auswählen als eine Folge zugeschrieben werden der Klugheit, insoweit sie durch das Raten die Wahl leitet. III. Das Lob der Klugheit besteht nicht in der bloßen Betrachtung; sondern in der Anwendung des Betrachteten auf das Thätigsein, was der Zweck der praktisch wirksamen Vernunft ist. Wenn also hier ein Fehler vorkömmt, so ist das am meisten der Vernunft entgegen. Denn wie der Zweck in Allem die Hauptsache ist, so ist ein Fehler rücksichtlich des Zweckes ein im höchsten Grade verderblicher. Deshalb fügt dort Aristoteles hinzu, daß „die Klugheit nicht einzig zusammen ist mit der Vernunft wie die Kunst;“ denn ihr ist es eigen, die Anwendung auf die Thätigkeit zu machen und das geschieht vermittelst des Willens.
