Zweiter Artikel. Die Klugheit gehört nur der praktisch wirksamen Vernunft an.
a) Auch mit der rein beschaulichen Vernunft hat sie zu thun. Denn: I. Prov. 10. heißt es: „Weisheit ist für den Mann Klugheit.“ Die Weisheit aber besteht in erster Linie in der Betrachtung. II. Ambrosius schreibt (1. de office. 24.): „Die Klugheit beschäftigt sich mit der Erforschung des Wahren und flößt ein die Sehnsucht, immer mehr zu wissen.“ Das gehört aber der Vernunft als einer rein beschaulichen an. III. Kunst und Klugheit weist Aristoteles (6 Eethic. 1.) dem nämlichen Vermögen der Seele zu. Die Kunst aber ist bisweilen eine rein beschauliche, wie z. B. die sogenannten liberalen Künste. Also ist dies mit der Klugheit ebenso der Fall. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (6 Ethhic. 5.): „Die Klugheit ist die rechte Richtschnur für das Wirken oder Thätigsein.“ Also ist sie nur in der auf das Thätigsein gerichteten, in der praktischen Vernunft.
b) Ich antworte, Sache des klugen ist es, gut zu sein mit Rücksicht auf die Beratung. Eine solche aber hat nur statt in dem, was wir als etwas zum Zwecke Führendes wirken. Die Richtschnur und der Grund für das zweckdienliche Handeln ist nun die praktische Vernunft. Also nur diese ist der Sitz für die Klugheit.
c) I. Die Weisheit betrachtet immer, in welchem Seinsbereiche auch immer, die höchste Ursache. Nun ist im Bereiche der menschlichen Handlungen die höchste Ursache der letzte Endzweck des ganzen menschlichen Lebens; und auf diesen Zweck richtet sich die Klugheit. Wie deshalb, wer klug ist im Kriegswesen, sich gut verhält zum Zwecke des Krieges, nämlich zum Siege, und somit nach dieser Seite hin klug ist; — so ist schlechthin klug jener, der sich gut verhält zum Endzwecke des ganzen Lebens. Also ist Klugheit die Weisheit in menschlichen Dingen; nicht freilich die Weisheit schlechthin, die ja auf die höchste Ursache an sich gerichtet ist, während die Klugheit sie als das Gut für den Menschen betrachtet; — aber sie ist Weisheit im Bereiche des menschlichen Strebens, denn sie strebt nach dem Besten. Deshalb heißt es in der Stelle nicht „Weisheit“ schlechthin; sondern: „sie ist Weisheit für den Mann, d. h. für den Menschen.“ II. Ambrosius und ebenso Cicero (2. de invent.) nehmen das Wort „Klugheit“ im weiteren Sinne für jede menschliche Kenntnis im allgemeinen. Man könnte jedoch auch sagen, die Thätigkeit der beschaulichen Vernunft selber falle, soweit sie freiwillig ist, unter die Auswahl und die Beratung, also in ihrer Ausübung; und somit falle sie unter die Anordnung der Klugheit. Wird aber diese selbe Thätigkeit in ihrem Wesenscharakter, also mit Bezug auf ihren Gegenstand, das Wahre und Notwendige, betrachtet, so fällt sie nicht unter die Beratung und nicht unter die Klugheit. III. Jede Anwendung der rechten Vernunft auf etwas zu Machendes gehört der Kunst an. Die Klugheit aber wendet nur auf das Handeln an, insoweit etwas der Beratung unterliegt und mehrere Wege zum Zwecke hin erscheinen. Weil also die beschauliche, spekulative Vernunft Manches vollbringt, wie den Syllogismus, Satzbildung etc., wo sie nach gewissen bestimmten Regeln vorgeht; deshalb kann da die Natur der Kunst gewahrt werden, nicht aber der Charakter der Klugheit. Sonach finden sich wohl in der Vernunft, als einer beschaulichen, einzelne Künste, wie die Logik z. B.; aber nicht findet sich da die Klugheit.
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