Vierzehnter Artikel. Die Klugheit ist in allen, die im Stande der Gnade sind.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Zur Klugheit gehört eine gewisse Betriebsamkeit, kraft deren man gut vorsieht, was zu thun ist. Solcher Betriebsamkeit aber ermangeln manche, die im Stande der Gnade sind. II. Die Klugheit macht gute Berater. Das sind aber nicht alle, die im Stande der Gnade sind. III. „Jünglinge sind bekanntermaßen nicht klug,“ heißt es 3 Topic. 2. Viele Jünglinge aber sind im Stande der Gnade. Auf der anderen Seite hat nur der tugendhafte die Gnade. Niemand aber ist tugendhaft, der nicht die Klugheit besitzt. Denn Gregor (2. moral. 24.) sagt: „Die übrigen Tugenden können in keiner Weise Tugenden sein, wenn sie nicht nach dem, was sie erstreben, mit Klugheit verlangen.“ Also alle, die im Stande der Gnade sind, haben die Klugheit.
b) Ich antworte, die Tugenden seien untereinander verknüpft, so daß wer eine hat sie alle besitzt. (I., II. Kap. 65, Art. 1.) Nun ist die Gnade stets von der heiligen Liebe begleitet. Also müssen alle Tugenden und somit auch die Klugheit in jenen sein, die im Stande der Gnade sind.
c) I. Eine gewisse Betriebsamkeit giebt es, die sich auf Alles erstreckt, was zum Heile notwendig ist; und diese Betriebsamkeit haben alle, die im Stande der Gnade sind, nach 1. Joh. 2.: „Die innere Salbung lehrt euch über Alles.“ Eine andere Betriebsamkeit giebt es, durch welche jemand für sich und für andere Vorsorgen kann, sowohl mit Rücksicht auf die Seligkeit wie mit Rücksicht auf die Bedürfnisse des msnschlichen Lebens; und solche Klugheit ist nicht in allen, welche die Gnade haben. II. Die da des Rates anderer bedürfen, sind doch wenigstens insoweit für sich selber wohlberaten, daß sie anderer Rat einholen und schlechte Ratschlüsse von guten unterscheiden. III. Die erworbene Klugheit setzt viele vorhergehende Akte voraus, damit sie als Tugend erzeugt werde. Also bedarf sie, ehe sie thatsächlich besteht, der Erfahrung und der Zeit; ist somit nicht in jungen Leuten. Die Klugheit der Gnade aber wird von oben eingeflößt. In den Kindern also, die getauft sind, aber noch nicht den Gebrauch der Vernunft haben, besteht sie bloß als Zustand, nicht als thatsächliche Wirksamkeit; wie auch ebenso in den Wahnsinnigen. Die aber den Gebrauch der Vernunft und die Gnade haben, besitzen sie auch der Thätigkeit nach mit Bezug auf das zum Heile Notwendige wenigstens. Die Übung jedoch vermehrt und vollendet sie wie auch die übrigen Tugenden, nach Hebr. 5, 14.
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