Dreizehnter Artikel. Die wahre Klugheit ist nicht in den Sündern.
a) Auch in den Sündern kann Klugheit sein. Denn: I. Der Herr sagt (Luk. 18.): „Die Kinder dieser Welt sind klüger, wie die Kinder des Lichts in ihrem Geschlechte.“ II. Der Glaube, also eine vorzüglichere Tugend wie die Klugheit, kann in den Sündern sein. III. Klugheit macht, daß man gut beraten (6 Ethic. 5.) ist. Gut beraten aber sind bisweilen die Sünder. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (6 Ethic. 12.): „Unmöglich kann jemand, der nicht gut ist, klug sein.“
b) Ich antworte, es gebe 1. eine falsche Klugheit. Wie nämlich der kluge das Zweckdienliche gemäß der Vernunft ordnet, so wird infolge einer gewissen Ähnlichkeit auch jener oft klug genannt, der etwas Schlechtes als Zweck betrachtet und danach das Verhältnis des Zweckdienlichen ordnet. Denn das Schlechte ist immer dem äußeren Scheine nach etwas Gutes; und so wird auch das Wort „Klugheit“ hier gebraucht, weil eine solche Ordnung derjenigen, welche die wahre Klugheit herstellt, äußerlich ähnlich ist. So spricht man von einem „klugen Räuber“, der die Mittel, um zu rauben, gut abzumessen weih. Solche Klugheit nennt der Apostel „Klugheit des Fleisches, die der Tod ist“ (Röm. 8.), weil sie nämlich den letzten Endzweck in fleischlichen, sichtbaren Gütern sieht. Es giebt 2. eine zwar wahre, aber unvollkommene Klugheit. Sie nimmt entweder ein wirkliches Gut wohl als Zweck an, wie den Handel, die Schiffahrt; aber dieser Zweck ist nicht der letzte Endzweck des ganzen Lebens; — oder sie berät und urteilt wohl gut rücksichtlich dessen, was für das ganze gesamte Leben gut ist, aber sie besitzt nicht die Kraft, wirksam vorzuschreiben. Es besteht endlich 3. die wahre und vollkommene Klugheit, die nach dem letzten Endzwecke des ganzen Lebens Alles regelt und auch wirksam vorzuschreiben versteht. Das ist die Klugheit schlechthin; und diese ist nicht in den Sündern. Die erste aber ist. nur in den Sündern und die zweite ist gemeinsam Guten und Bösen, zumal insoweit sie einen besonderen beschränkten Zweck verfolgt; denn wo sie unvollkommen ist, weil die hauptsächliche Thätigkeit, das Vorschreiben, fehlt, da ist sie auch einzig in den Bösen.
c) I. Dies ist die erste Art Klugheit. II. Das Wesen des Glaubens an sich besteht nur in der Kenntnis. Die Klugheit aber schließt auch ein die Beziehung zum rechten Begehren. Denn ihre Principien sind die Zweckrichtungen im Thätigsein, welche jemand kraft der im begehrenden Teile befindlichen moralischen Tugenden richtig wertschätzt, so daß die Klugheit an sich nicht sein kann ohne die moralischen Tugenden. (I., II. Kap. 58.) Und zudem ist die Klugheit die wirksame Lenkerin zum rechten Wirken (ihre hauptsächliche Thätigkeit ist ja Vorschreiben) und somit wird von ihr das rechte Begehren vorausgesetzt. Der Glaube also ist wohl auf Grund seines Gegenstandes erhabener wie die Klugheit; aber diese widerstreitet kraft ihres Wesenscharakters in höherem Grade der Sünde, die aus der Verkehrtheit des Begehrens herrührt. III. Die Sünder können gut beraten sein mit Rücksicht auf einen schlechten oder einen begrenzten und beschränkten Zweck; sie sind es nicht mit Bezug auf den Zweck des ganzen menschlichen Lebens. Klugheit schlechthin ist in ihnen also nicht; sondern nach 6 Ethic. 12. eine gewisse natürliche Betriebsamkeit, die auf Gutes und Böses sich bezieht, oder Schlauheit, die auf das Böse allein sich richtet.
