Vierter Artikel. Gott kann nicht machen, daß das vergangene nicht gewesen sei.
a) Dies scheint doch Gott zu können. Denn: I. Was an und für sich von sich selbst aus unmöglich ist, das ist in höherem Grade unmöglich als was infolge eines äußeren Umstandes nur unmöglich geworden. Das erste aber kann Gott machen; wie z. B. einen Blindgeborenen heilen, Tote erwecken. Daß aber das Vergangene nicht gewesen sei, ist unmöglich rein infolge äußerlicher Umstände. Denn es ist nicht der Natur des Sokrates geschuldet, daß er nun nicht mehr läuft, wohl aber gelaufen ist; sondern dies erfolgt aus einem ihm äußerlichen Umstände, nicht an und für sich. . II. Was Gott machen konnte, das kann Er. Gott aber konnte machen, daß Sokrates nicht lief, ehe er lief. Also kann Er dies auch noch. III. Die Liebe ist eine höhere Tugend wie die Jungfräulichkeit. Gott kann aber die Liebe wiederherstellen, die verloren worden; also auch die Jungfräulichkeit, die man verloren hat. Also kann Er machen, daß die Jungfrau, welche verletzt worden, nicht verletzt ist. Auf der anderen S«ite sagt Hieronymus (ep. 2. ad Eustochium): „Gott kann alles machen, aber aus einer verletzten Jungfrau kann Er keine unversehrte machen.“ Und aus demselben Grunde kann Er nicht machen, daß das Vergangene nicht gewesen sei.
b) Ich antworte, daß, wie oben bemerkt, der Allmacht nicht unterliegt, was einen Widerspruch in sich enthält. Daß aber das Vergangene nicht gewesen sei, enthält einen offenbaren Widerspruch. Denn wie in dem Satze ein unmittelbarer Widerspruch vorhanden ist: Sökrates sitzt und er sitzt zugleich nicht; so auch in diesem anderen: Sokrates hat gesessen und er hat zugleich nicht gesessen. Sagen aber, er hat gesessen, heißt, dies ist vergangen; — und sagen, er hat nicht gesessen, heißt, dies ist nicht vergangen. Also machen, daß das Vergangene nicht gewesen sei, unterliegt nicht der göttlichen Allmacht. Und das bezeichnen die Worte Augustins (25. Con. Faust. c. 5.): „Wer behauptet: Wenn Gott allmächtig ist, so mache Er auch, daß das, was gewesen ist, nicht gewesen sei; der sieht nicht, daß er damit behauptet: Wenn Gott allmächtig ist, so mache Er, daß das, was wahr ist, dadurch selber, daß es wahr ist, als falsch erfunden werde.“ Und Aristoteles (6 Ethic.): „Dies allein entbehrt Gott, daß Er unerzeugt machen kann, was einmal gemacht ist.“
c) I. Daß das Vergangene nicht sei, ist allerdings unmöglich nur infolge eines äußeren Umstandes, wenn das betrachtet wird, was vergangen ist, wie z. B. das Laufen des Sokrates. Wird aber das Vergangene als Vergangenes betrachtet, so ist es eine innere, an und für sich bestehende, unbedingte Unmöglichkeit, daß das Vergangene nicht gewesen sei. Und so ist dies in höherem Grade unmöglich, wie die Auferweckung eines Toten und ähnliches. Denn einen Toten auferwecken ist für das Vermögen der Kreatur wohl unmöglich, nicht aber für das wirkende Vermögen Gottes. II. Gott kann alles, insoweit die schrankenlose Vollendung seiner Macht erwogen wird. Aber manches unterliegt nicht seiner Macht; weil es an und für sich nicht wirklich werden kann und somit unmöglich ist. Wenn man also Rücksicht nimmt auf die Unveränderlichkeit seiner Macht, so kann Gott heute machen, was Er vor tausend Jahren machen konnte. Was aber den Charakter des Möglichen besaß, während es noch nicht war, sondern erst werden sollte; das steht nicht mehr im Zustande des Möglichen, wenn es bereits etwas Wirkliches geworden ist. Und so kann Gott es nicht machen, weil es nicht mehr werden kann. IIl. Gott kann alle Folgen des Verderbtseins von Geist und Körper der verletzten Jungfrau entfernen; aber daß sie nicht verletzt worden ist, dies kann Er nicht entfernen. Und ebenso kann Er von einem Sünder nicht entfernen, daß er nicht gesündigt und die Liebe verloren hat.
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