Fünfter Artikel. Gottes Macht ist nicht gebunden an das, was er einmal wirkt oder gewirkt hat.
a) Gott scheint nichts Anderes thun zu können als das, was Er eben thut. Denn: I. Gott kann das nicht thun, wovon Er nicht vorhergewußt und was Er nicht vorherbestimmt hat, daß Er es thun werde. Er hat aber nicht vorhergewußt noch vorherbestimmt, was Er nicht thut. Also kann Er nichts Anderes thun. II. Gott kann nicht thun, außer was Er schuldig ist zu thun; und was gerecht ist, daß es geschieht. Gott aber schuldet niemandem, etwas zu thun, was Er nicht thut; noch ist dies gerecht. Also. III. Gott kann nicht vollbringen Anderes, als was für die hervorgebrachten Dinge gut und zukömmlich ist. Es ist aber den hervorgebrachten Dingen weder gut noch zukömmlich, anders zu sein, wie sie sind. Also kann Gott nichts Anderes thun wie Er thut. Auf der anderen Seite heißt es bei Matth. 26, 62.: „Oder kann ich nicht meinen Vater bitten; und Er wird mir mehr als zwölf Legionen Engel senden.“ Der Heiland betete aber weder in diesem Sinne noch sandte der himmlische Vater die Legionen Engel. Also kann Gott Anderes thun wie Er thut.
b) Ich antworte, in betreff dieses Punktes haben manche in doppelter Weise geirrt. Denn die einen meinten, Gott wirke aus Naturnotwendigkeit, und so könnte nur das von Ihm ausgehen, was eben ausgeht; wie aus dem Pfianzensamen kein Tier hervorgeht und umgekehrt, so könne auch Gott keine andere Ordnung der Dinge herstellen wie die gegenwärtige. Oben ist aber gezeigt worden, daß nicht Naturnotwendigkeit, sondern der göttliche Wille die Ursache der Dinge sei; und daß auch der göttliche Wille nicht infolge seiner Natur zu diesen bestehenden Dingen hinbezogen wird. Die anderen aber meinten, Gottes Macht, sei für diese gegenwärtige Ordnung der Dinge bestimmt kraft der göttlichen Weisheit und Gerechtigkeit, ohne welche Gott nichts wirkt. Da nun die göttliche Weisheit und Gerechtigkeit das Wesen Gottes selber ist und dieses Wesen wieder seinerseits die Macht Gottes ist, so kann wohl ganz gut gesagt werden, daß Gott nichts vermöge als was in der Ordnung der göttlichen Weisheit und Gerechtigkeit sich vorfinde. Jedoch diese gegenwärtige Ordnung, die in den Dingen erscheint, erschöpft nicht die innere Ordnung in der göttlichen Weisheit, so zwar, als ob die Weisheit Gottes begrenzt wäre auf diese gegenwärtige Ordnung, Denn offenbar rührt der ganze Gründ für die Ordnung, welche der Weise den von ihm gemachten Dingen aufprägt, vom Zwecke her. Wenn also der Zweck seiner Natur nach im bestimmten Verhältnisse steht zu den wegen desselben gemachten Dingen, so ist die Weisheit des Wirkenden begrenzt auf die bestimmte Ordnung. Die göttliche Güte aber überragt als Zweck unendlich weit alle geschaffenen Dinge. Und somit ist die göttliche Güte auf keine bestimmte Ordnung der Dinge in der Weise angewiesen, als ob nicht eine andere von ihr ausgehen könnte.
c) I. In uns ist das wirkende Vermögen und das innere Wesen etwas Anderes wie die Vernunft und der Wille; und wiederum ist die Vernunft etwas Anderes wie die Weisheit; und der Wille etwas Anderes wie die Gerechtigkeit; kann doch die Vernunft auch unweise sein und der Wille ungerecht. Bei uns kann etwas im Vermögen sein, was nicht sein kann in einem Willen, der gerecht ist; und in einer Vernunft, die weise ist. In Gott aber ist dem wirklichen Sein nach ein und dasselbe: Wesen und Vermögen und Wille und Vernunft und Weisheit und Gerechtigkeit. Somit kann also nichts sein im wirkenden Vermögen Gottes, was nicht in seinem gerechten Willen und seiner weisen Vernunft wäre. Da aber der göttliche Wille nicht aus Naturnotwendigkeit zu dem oder jenem bestimmt wird, außer etwa unter der Voraussetzung, es sei einmal so gewollt (Kap. 19, Art. 3), so ist auch die Weisheit und Gerechtigkeit Gottes nicht auf diese gegenwärtige Ordnung der Dinge angewiesen. Und nichts hindert es demgemäß, daß etwas in der göttlichen Macht sich vorfinde, was Gott thatsächlich nicht will, daß es wirkliches Sein habe; und was in der Ordnung, welche Er den Dingen aufgeprägt, der Wirklichkeit nach nicht enthalten ist. Und weil nun das Verhältnis zwischen Macht, Wissen und Wollen Gottes der Auffassung der Vernunft gemäß in der Weise sich gestaltet, daß die Macht ausführt, der Wille befiehlt und das Wissen anleitet, so nennt man die Macht Gottes, insoweit sie thatsächlich nicht vom Willen angewendet und vom Wissen angeleitet wird gemäß der wirklichen bestehenden Ordnung; also die Macht Gottes, insoweit sie absieht vom Thatsächlichen und nur in sich betrachtet wird als identisch mit dem Wesen und Sein Gottes: die unbedingte, die absolute Macht Gottes. Und es wird gesagt, Gott könne etwas gemäß seiner „unbedingten Macht“, secundum potentiam absolutam, insoweit darin der Charakter des Seins gewahrt werden kann, insoweit also kein innerer Widerspruch darin enthalten ist. Was aber der göttlichen Macht zugeschrieben wird als jenem wirkenden Vermögen, welches ausführt, was der Wille thatsächlich gebietet und wozu die Vernunft anleitet, was also dem gerechten Willen entspricht; das thut Gott gemäß seiner ordentlichen Machte, secundum potentiam, ordinariam; nach jener Ordnung nämlich, welche die Weisheit und der gerechte Wille Gottes den Dingen einmal aufgeprägt hat. Danach also muß gesagt werden, Gott könne nach seiner „unbedingten Macht“ Anderes thun als was Er vorhergesehen und vorherbestimmt hat, daß Er thun werde. Das ist jedoch nicht dasselbe, als ob Gott überhaupt einiges thut, was Er nicht vorhergesehen und vorherbestimmt hätte. Denn das wirkliche „Thun“ unterliegt dem Vorherwissen und Vorherbestimmen; nicht aber das Können, was mit der göttlichen Natur gegeben ist. Deshalb nämlich thut Gott etwas, weil Er will; nicht aber deshalb kann Er etwas, weil Er will, sondern weil seine Natur so ist. II. Gott schulett nur Sich selber etwas. Sagen also, Gott kann nichts Anderes machen, als was Er schuldet, das bezeichnet nur, Gott könne nichts thun, was nicht gerecht und zukömmlich ist. Dies aber kann in zweifacher Weise aufgefaßt werden: Einmal so, daß das „gerecht und zukömmlich“ zuerst mit dem „ist“ verbunden und so das Gegenwärtige bezeichnet; in diesem Sinne wird es auf die Macht, auf das Können bezogen und drückt also aus: Gott kann nichts machen als was jetzt gerecht und zukömmlich ist. Dieses Verständnis ist falsch. Wenn aber das „gerecht und zukömmlich“ zuerst mit dem Worte „kann“ verbunden wird und erst in zweiter Linie mit dem Worte „ist“; so drückt es diesen Sinn aus: Gott kann nichts machen außer dem, was, wenn Er es machte, gerecht und zukömmlich wäre. Dieses Verständnis wäre richtig. III. Die gegenwärtige Ordnung der Dinge ist allerdings denselben aufgeprägt. Aber die göttliche Weisheit ist nicht ihrer Natur nach auf diese einzige Ordnung von vornherein angewiesen. Für diese Dinge also, welche jetzt sind, würde keine andere Ordnung gut und zukömmlich sein; Gott aber könnte andere Dinge hervorbringen und denselben eine andere Ordnung aufprägen.
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